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Reisebericht

11.04.2023

Durch Langsamkeit zur Freiheit

Die Veloplus-Kund:innen Salome, Mirco und Gregor gingen zu dritt auf ein unvergessliches Veloabenteuer im Osten. Dabei überquerten sie den Kaukasus, und waren unterwegs in Georgien, Armenien, der Türkei und im Iran und erlebten unvergessliche Momente und Gastfreundschaft.

Unser Traum war es, weit weg von zuhause fremden Kulturen zu begegnen und gedankenverloren durch entschleunigte Landschaften zu radeln.

Das langsame Reisen ohne Flugzeug

Schlussendlich geht es immer um Zeit, wenn man von Träumen spricht – das ist nicht anders bei Fahrradreisen. Unser Traum war es, uns Zeit zu nehmen, um weit weg von zuhause fremden Kulturen zu begegnen und gedankenverloren durch entschleunigte Landschaften zu radeln. Uns war dabei klar, dass wir uns dafür für die langsamen Wege entscheiden müssen, weit ab von den asphaltierten Strassen, welche alle Städte unserer Welt miteinander verbinden. Und für uns war vor allem klar, dass wir unsere Überzeugung ohne Flugzeug zu reisen nicht für die Erfüllung dieses Traums aufgeben würden.

Viele Radreisende kennen das Problem, sobald man mit dem Fahrrad verreisen und dabei den vertrauten Kulturraum verlassen möchte, wird man vor die Wahl gestellt: Entweder du buchst ein Flugticket, verpackst dein Fahrrad in eine Kartonschachtel und fliegst dorthin, wo es dich gerade hinzieht, oder du investierst deine Zeit in die Suche nach einer umweltschonenderen Transport-Alternative per Zug, Bus oder Schiff – oder einer Kombination daraus. Häufig ist die Reise ohne Flugzeug dabei teurer, länger, komplizierter und mit mehr Unsicherheiten verbunden.

Grundsätzlich ist es genau die Art zu reisen, die wir suchten und woraus Abenteuerstimmung, lustige Geschichten und unvergessliche Momente entstehen

Schlussendlich ist es aber eine Entscheidung, welche einen sehr glücklich machen kann, weil du spürst, dass du deine Energie für deine Überzeugung einsetzt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die ganze Reise von Anfang an einen abenteuerlichen Charakter erhält. An- und Rückreiseplanung werden schon zur kleinen Odyssee. Natürlich kann man sich darüber ärgern, wenn man stundenlang am Bahnhofschalter das geduldige Personal beansprucht, oder wenn man auf fremdsprachigen, halb verwahrlosten Webseiten von Transport-Anbietern nach Anhaltspunkten zu Abfahrtszeiten sucht.

Aber zum Glück gibt es junge Start-ups wie “simpeltrain.ch”, die einem mit ihrer Erfahrung bei der komplizierten Suche nach einer geeigneten Zugverbindung inklusive Fahrradmitnahme helfen. Und irgendwann wird man bei der Suche von einem Ehrgeizgefühl gepackt, welches einen sehr motiviert eine Lösung zu finden und selbständig seine Reise zu planen. Denn grundsätzlich ist es ja genau die Art zu reisen, die wir suchten und woraus Abenteuerstimmung, lustige Geschichten und unvergessliche Momente entstehen. Ab diesem Zeitpunkt führt jeder Planungsteilerfolg zu einer Befriedigung und “das Reisen” kann richtig genossen werden. Denn dafür hat man dann auch sehr viel Zeit im Zug, Bus oder auf der Fähre.

Wir würden uns freuen, wenn dieser Bericht andere Radreisende dazu motiviert die beeindruckende Kaukasus Region und seine gastfreundlichen Bewohner:innen mit dem Fahrrad kennen zu lernen. Wer lange Zugreisen zum Lesen oder einfach Tagträumen geniessen kann, findet nämlich auch eine Lösung diese Weltregion zu erreichen, ohne dabei (berechtigte) Gewissensbisse durch Flugreisen in Kauf nehmen zu müssen. Natürlich hat sich uns im Vorfeld auch die Frage gestellt, warum wir denn überhaupt so weit weg müssen, wenn wir die Zeit für die Anreise per Fahrrad nicht aufbringen können.

Die Antwort auf diese Frage wurde uns dann während der Reise immer klarer:

Weil wir…

1) … dazu nicht in ein Flugzeug steigen müssen. 2) … erkennen was Langsamkeit mit Freiheit zu tun hat. 3) … Einfachheit erleben und beobachten können. 4) … Gastfreundschaft so nicht einfach irgendwo sonst in Europa erleben können. 5) … spüren, dass die Distanz zur Heimat und gewohnter Infrastruktur ein Abenteuer ist.

Unsere Route

So sah unsere Reiseroute aus.

Vom Hauptbahnhof in Zürich sind wir per Zug nach Villach, in Österreich, gereist (8h). Hier gab es einen mehrstündigen Zwischenstopp, um Proviant zu kaufen für die 34-stündige Zugfahrt nach Edirne (Türkei) mit dem Nachtzug von Optima-Tours GmbH. Das private Unternehmen betreibt den Optima-Express seit vielen Jahren und die Fahrradmitnahme ist in diesem Autozug gegen einen Aufpreis problemlos möglich.

Nach verspäteter Ankunft in Edirne sind wir mit dem Fahrrad Richtung Burgas (Bulgarien) losgeradelt, wo dann unsere Fähre Richtung Batumi in Georgien den Hafen verlässt. Zehn Tage nach unserer Abreise in der Schweiz erreichen wir Georgien und durchqueren von hier mit unseren Fahrrädern den kleinen Kaukasus, Armenien und den Nord-Westen des Irans bevor, fast zwei Monate später in Täbriz im Iran, wie geplant unsere Reisen in verschiedene Richtungen weitergehen.

Per Bus (4h), mit zwei Nachtzügen durch die Türkei (Tatvan – Ankara, Ankara – Istanbul) und einem weiteren Bus (3h) ab Istanbul erreichst du von Täbriz in 3 Tagen wieder Edirne, wo bereits wieder der Optima-Express wartet. Die Stadt Täbriz und Zürich sind somit theoretisch in einer Woche per Zug und Bus mit einem Fahrrad im Anhang erreichbar, wenn du dich auf dieses Abenteuer einlassen möchtest. Wir können es nur empfehlen (insbesondere mit Zwischenstopps in der Weltmetropole Istanbul und einer der ältesten Moscheen in Edirne.

Durch Langsamkeit zur Freiheit

Im Zuge unserer Reise wurde die Langsamkeit zu einem wichtigen Begleiter unserer Fahrradtour. Die 34 Stunden Zugfahrt durch den Balkan war ein idealer Einstieg, um langsam den, vor allem kurz vor der Abreise, hektischen Alltag hinter uns zu lassen und durch die Fenster einen ersten Einblick in die für uns neue Umgebung zu bekommen. Wir realisierten, dass wir uns bereits mitten auf unserer Reise befanden. Von diesem Zeitpunkt an, bekam der Faktor Zeit eine völlig neue Bedeutung für uns und spätestens während der 50 Stunden Überfahrt mit der Fähre von Burgas (BG) nach Batumi (GE) bekam die zeitliche Wahrnehmung nochmals eine neue Dimension. Wir verbrachten insgesamt drei Nächte in einer 4er Kabine auf einer gut beladenen, teils stark schwankenden Schwertransport-Verlad-Fähre. Tagsüber verbrachten wir die Zeit mit Lesen, Würfelspielen, Picknicken, Routenplanung, Ukulele-Zupfen und machten spannende Bekanntschaften mit anderen Fahrradreisenden sowie ein paar Schwarzmeer-Delphinen.

Entschleunigung - die 50 Stunden auf der Fähre von Burgas nach Batumi in einem Bild.

Auf dem Festland angekommen, erhielt auch der Begriff Freiheit eine ganz neue Bedeutung für uns. Nachdem wir die letzten Tage auf wenigen schaukelnden Quadratmetern verbracht hatten, durchquerten wir nun mit unseren Fahrrädern weite Landschaften, überwanden Berge auf schmalen, unbefestigten Wegen und erreichten dadurch abgelegene, einsame Orte mitten in der Natur. Auf unseren Fahrrädern hatten wir alles Nötige stets mit uns dabei – Zelt, Kocher, Proviant etc. – überall und jederzeit. Eigene Pfade zu wählen, abends an einem schönen Ort im Nirgendwo das Zelt aufzuschlagen – das fühlt sich an wie Freiheit.

Dazu eine kleine Anekdote über die Wahrnehmung der Langsamkeit: Kurz nach der Überquerung der Grenze Georgien/Armenien, rollten wir mit unseren Fahrrädern durch die kleine Stadt Tashir, als wir von einer Baustelle her Rufe hörten. Obwohl wir an diesem Morgen noch keine 10 Kilometer hinter uns hatten, mussten wir nicht lange nachdenken und nahmen die Einladung gerne an. Kurzerhand wurde mit drei Metallkesseln als Hocker, einem Tauchsieder und einer Kaffeekanne eine gemütliche Kaffee-Ecke eingerichtet. Mit einem frisch "gebrauten" Kaffee haben wir beim Betreten dieser Baustelle definitiv nicht gerechnet. An die Freude, die die Augen unseres Gastgebers ausstrahlten, erinnern wir uns bis heute.

Die Freude des Gastgebers bei der ersten Begegnung in Armenien beim Kaffee auf einer Baustelle.

Uns wurde bewusst, dass genau solche spontane Begegnungen unsere Reise zu einem besonderen Erlebnis machen. Was uns dabei immer wieder auffiel: Für die Leute, die uns herbeiriefen, schien es ganz selbstverständlich zu sein, dass sie sich diese Zeit für uns nehmen. Irgendwie hatten wir alle das Gefühl, dass die Zeit hier einen ganz anderen Stellenwert hat als bei uns zuhause.

Durch die von uns bewusst gewählte Langsamkeit, machten wir viele schöne, kleine Begegnungen, die wir ohne unsere Fahrräder wohl kaum gemacht hätten. Denn oftmals sind es die abgelegenen, kleinen Dörfern mit ein paar einzelnen Häusern, wo sich die Menschen gerne Zeit für Reisende nehmen und dadurch interessante Begegnungen entstehen können.

Ausgiebige Reisevorbereitung

Einige Wochen vor dem eigentlichen Start unserer Fahrradreise begaben wir uns auf eine zweitägige Probetour im Jura. Das Hauptziel war das Testen und Abgleichen unserer Ausrüstung, sodass Doppeltes bzw. Unnötiges gestrichen und Fehlendes noch organisiert werden konnte. Nacheinander präsentierten wir uns gegenseitig jeden einzelnen Gegenstand, den wir gerne auf unsere Reise mitnehmen wollten. So landete ein geliebter Wollpullover nach kurzer Begutachtung auf der Liste "unnötig" - und die maximale Höchstanzahl an Unterhosen wurde auf drei Paar limitiert. Natürlich alles im Sinne der Gewichtseinsparung.

Das Gewicht möglichst zu reduzieren war entscheidend für uns, da wir mit unseren beladenen Fahrrädern noch flexibel genug auf unwegsamen Trampelpfaden – fernab von asphaltierten Strassen – unterwegs sein wollten. Nach einigen ausführlichen Diskussionen, ob wir nicht doch besser auf eine Bikepacking-Ausrüstung umsteigen sollten, haben wir uns nach unserer Probetour dennoch entschieden, beim altbewährten Frontroller-Lowrider System zu bleiben. Lieber halbleere Taschen dabei, als übervolle Bikepacking-Packsäcke, in denen es kein Platz mehr gibt für Obst und Gemüse, welches uns häufig mitgegeben wurde. Damit sich die Fahrradtaschen (insbesondere die Fronttaschen) aber auch im unwegsamen Terrain durch die Erschütterungen keinesfalls lösen, haben wir die Taschen mit Straps/Riemen an der Gepäckhalterung fixiert. Das hat sich definitiv gelohnt, denn dadurch ist das Gepäck fest mit dem Fahrrad verbunden und führt zu einem stabileren Fahrgefühl. Solange die Riemen gut platziert und angezogen sind, sodass sie nicht in die Speichen gelangen können, nimmt auch die Sicherheit zu.

Eigene Pfade zu wählen, abends an einem schönen Ort im Nirgendwo das Zelt aufzuschlagen – das fühlt sich an wie Freiheit.

Einfachheit erleben und beobachten

Unterwegs mit Fahrrad, Zelt und Kocher wussten wir die Einfachheit unserer Reiseart sehr zu schätzen. Dennoch sind wir einige Kompromisse eingegangen. Wir einigten uns, dass eine Ukulele, eine minimalistische Slackline, sowie ein kleines Fernglas zu unserer Reiseausrüstung dazugehören. Zudem wurde noch ein kleiner Frisbee an unserer gegenseitigen Gepäckkontrolle vorbeigeschmuggelt. Rückblickend definitiv die richtige Entscheidung, denn durch die Musik, ein Spiel (Scopa) oder etwas Akrobatik konnten wir trotz kaum überwindbaren Sprachbarrieren ganz unterschiedliche Menschen erreichen und dies hat uns häufig erst ermöglicht, ihre Lebensweisen und somit eine andere Einfachheit zu beobachten und kennen zu lernen.

Dazu eine Erinnerung aus dem Iran: Als wir am frühen Morgen losradelten (4:30 Uhr aufgrund der Hitze), wurden wir kurz vor 7 Uhr morgens – direkt vor dem Erreichen der Passhöhe – von einer Nomadenfamilie herbeigerufen. Eine kurze Verschnaufpause vor dem Gipfel kam uns sehr gelegen. Barfuss setzten wir uns auf den von ihnen ausgebreiteten Teppich. Die fünfköpfige Familie erzählte/gestikulierte uns, dass sie gemeinsam den gesamten Sommer auf dieser Höhe verbringen. Dabei scheint nur das Nötigste mit dabei zu sein – alles untergebracht in ihrem kleinen, weissen Zelt.

Für uns kaum vorstellbar, zu fünft ca. sechs Monate auf so kleinem Raum unter einem “Dach” zu verbringen. Gemeinsam assen wir das für diese Region typische, an Honigwaben erinnernde Fladenbrot, welches sehr dünn und trocken ist und deshalb vor dem Essen kurz mit Wasser benetzt wird. Sparsam nahmen wir jeweils ein kleines Stückchen Käse und assen es zusammen mit etwas Brot. Zum Abschluss zeigten sie uns sichtlich stolz ihre Leinsamen und Kichererbsen Ernte. Wir waren beeindruckt, denn man kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie man in dieser trockenen Landschaft Ackerbau betreiben kann. Beim Verabschieden drückten sie uns eine Schlangenhaut sowie ein kleines Säckchen Leinsamen in die Hand. Wir werden uns noch lange an diese Geste der Gastfreundschaft erinnern und hinterfragen nach diesem Einblick in ihr einfaches Leben, was Einfachheit für uns eigentlich bedeutet.

Im kleinen weissen Zelt (rechts im Bild) lebt die Nomadenfamilie den gesamten Sommer über 6 Monate zu fünft mit allem was sie brauchen.

Die Einladungen und die damit verbundene Möglichkeit lokale Familien und ihr Zuhause kennenzulernen, sind für uns wohl die prägendsten und unvergesslichsten Erfahrungen dieser Reise.

Mehr als nur Gastfreundschaft

Die Länder im Nahen Osten sind bekannt für ihre Gastfreundschaft. Was wir erleben durften, übertraf jedoch unsere Erwartungen bei weitem. Uns hat berührt, dass die Leute, die uns so viel gaben, auch genau die Menschen waren, welche selbst so wenig besitzen. Grundsätzlich ist die Gastfreundschaft vor allem in den Ländern, in welchen eine muslimische Religion gelebt wird, stark in der Kultur verankert (zum Beispiel persische Sitte des Ta'arof).

Aus einem iranischen Reiseführer lernten wir zu Ta’arof, dass eine Einladung wiederholt abgelehnt werden sollte und erst bei einem dritten Versuch davon ausgegangen werden kann, dass ein Angebot ernst gemeint ist. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass man gerade in ländlichen Regionen vermehrt eingeladen wird, denn die lokale Bevölkerung möchte einem helfen. Zudem war wohl die Bewunderung für das freiwillige Pedalen durch diese trockenen und heissen Landschaften gross. Teilweise stiess man sogar auf Unverständnis, wieso man sich denn so etwas freiwillig antut.

Je weniger eine Gegend touristisch erschlossen ist, desto grösser, so scheint es, ist die Freude der Leute einen kennenzulernen. Sie waren sehr interessiert an uns, unserer Kultur und Heimat, welche für sie in unerreichbarer Distanz liegt. Ein Interesse an unserem Geld, so hatten wir das Gefühl, spielt dabei eher eine untergeordnete Rolle. Vielmehr erhofft sich vielleicht eine Person durch die Bekanntschaft mit uns einen Kontakt nach Europa zu knüpfen. Denn nicht wenige träumen davon, ihr grosses Glück in Europa zu finden. Die Einladungen und die damit verbundene Möglichkeit lokale Familien und ihr Zuhause kennenzulernen, sind für uns wohl die prägendsten und unvergesslichsten Erfahrungen dieser Reise. Das Reisen mit dem Fahrrad machte solche Kontakte möglich, denn wir waren mit einer Geschwindigkeit unterwegs, welche es erlaubte gleichwohl täglich Distanz zurück zu legen und trotzdem während der Durchfahrt durch ein Dorf mehrmals auf einen Çay (Tee) eingeladen zu werden.

Missverständnisse und ein unerwartetes Festmahl

Der Kontakt war jeweils schnell hergestellt, denn es befand sich keine Windschutzscheibe zwischen uns und unserer Umwelt. Gerne erzählen wir von zwei besonders schönen Besuchen: Südlich von der Provinzstadt Tashir in Armenien hatten wir in einer weiten Grassteppe an einem kleinen Fluss übernachtet. Am nächsten Morgen waren wir nicht weit gefahren, als uns eine Männerstimme von einem Hof aus zu sich rief und wir auf einen Kaffee eingeladen wurden. Wir freuten uns sehr über die Einladung. Micha zeigte uns stolz seinen Hof, wo sie gerade ein Schaf ausweideten und Schafskopf und Gedärm auf dem Hofplatz lagen, worüber sich die Hühner freuten. Die Kommunikation mit Micha und seiner Familie war anspruchsvoll – Englisch konnte niemand von ihnen und unser Russisch und Armenisch war auch sehr beschränkt. So kam es dann auch zum Missverständnis, als er uns kurz vor der Weiterfahrt mit Gestikulation fragte, ob wir noch etwas Naan (Brot) wollten.

Da wir in den nächsten Tagen über einen wilden und abgelegen Pass fahren wollten und nur noch etwas altes Brot dabei hatten, überlegten wir nicht lange und freuten uns über ein selbstgebackenes Brot. Doch wir hatten uns getäuscht. Die Frage nach Brot war vielmehr eine Einladung zum Mittagessen. Unsere Weiterfahrt verzögerte sich – halb so schlimm. Was nun passierte war eindrücklich. Alle weiblichen Personen in der Familie bereiteten ein riesiges Festmahl für uns zu. Der einfache Holztisch wurde mit einem Tischtuch gedeckt, das frisch geschlachtete Schafsfleisch wurde angebraten, frischer Käse, Kräuter, Schnaps und Mineralwasser wurden aufgetischt. Irgendwie war es uns zuerst nicht so wohl dabei. Doch es schien für sie eine grosse Freude zu sein, wenn wir ihre Gäste sind. Per Telefon wurden zusätzlich Nachbarn eingeladen und es gab ein reichhaltiges Mittagessen. Nach dem Essen, selbstgebranntem Schnaps, Kaffee und einem Foto mit Micha (siehe unten) wollten wir los über einen einsamen Pass nach Spitak. Micha versuchte uns von unserem Vorhaben abzubringen und liess uns schlussendlich nur widerwillig fahren. Er warnte wiederholt von gefährlichen Bären in dieser Gegend. Es wäre ihm wohl lieber gewesen, wir wären auf der asphaltierten Autostrasse weitergereist. Wir mussten ihm schlussendlich versprechen eine SMS zu schicken, sobald wir auf der anderen Seite des Passes in Spitak heil angekommen sind. Es war wohl einer der schönsten und wildesten Pässe dieser Reise.

Auf dem Hof von unserem Gastgeber Micha (MItte) nach einem unerwarteten Festmahl.

Ein weiterer Besuch, welcher uns in sehr guter Erinnerung bleibt, ist der Besuch bei Mohammed in den Bergen im Norden vom Iran. Es war wieder einmal früh morgens und wir fuhren durch das iranische Bergland zwischen armenischer Grenze und Täbriz. Blaue Jeeps, die typischen Autos der Bauern hier, gibt es im Iran sehr viele, doch aus einem kam uns ein besonders freundliches Lächeln entgegen. Einen Kilometer später trafen wir wieder auf den blauen Jeep und da steht auch Mohammed am Strassenrand mit seiner Familie. Dahinter ein kleines Häuschen, vielleicht gerade mal so knapp 10 m2 Fläche. Fast so gross war der Teppich vor dem Haus. Auf einem kleinen Feuer wurde direkt ein Çay (Tee) aufgesetzt. Mit Händen, Füssen und unserem Zeigewörterbuch tauschten wir uns aus und erzählten, woher wir kommen, wer wir sind und wo unsere Reise hinführte. Mohammed zeigte uns stolz seine kleine Plantage (Pfirsiche, Aprikosen), welche er, alles in Handarbeit, terrassiert hatte. Das ganze Gebiet wird über ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem bewässert, doch im Sommer ist es an den Hanglagen nicht möglich zu bewässern. Kaum zu glauben, dass Mohammed mit dieser Fläche seine ganze Familie ernähren kann. Als wir uns verabschiedeten, wurden wir eingeladen die Familie in Marand zu besuchen. Mohammad lebt dort mit seiner Familie und arbeitet auf dem Land. Später auf der Reise führte unser Weg tatsächlich nach Marand: Die Gastfreundschaft, die wir dort erleben durften, war sehr eindrücklich.

Wie ein Abenteuer entsteht

Bereits vor unserer Reise war für uns klar, dass wir ein Abenteuer erleben möchten. Nun beim Schreiben dieses Berichtes haben wir uns gefragt: Was hat unsere Reise denn überhaupt zu einem Abenteuer gemacht?

Zum einen die Distanz zur vertrauten Umwelt. Denn weit weg von zuhause zu sein, in einer fremden Kulturregion, weit weg von Menschen, die eine Sprache sprechen, welche wir nur ansatzweise verstehen würden, heisst auch oft auf neue Herausforderungen zu stossen. Als Individualreisende erlebt man früher oder später wohl meistens seine Abenteuer, dafür bräuchte es nicht mal die Distanz zur Heimat. Doch in uns so fremden Kulturen und Umgebungen wurden ganz simple Alltagssituationen zu einer abenteuerlichen Unternehmung. Ein paar prägende Anekdoten unserer Reise möchten wir euch nicht vorenthalten.

Einkaufen

Eines der ersten Abenteuer auf unserer Reise erlebten wir im Nordwesten der Türkei. Das Gebiet nahe der bulgarischen Grenze ist ziemlich wild mit einigen verstreuten kleinen Ortschaften. Doch in vielen von diesen Dörfern suchten wir vergebens Lebensmittel in den Dorfläden. Weil die türkische Lira im Verhältnis zum bulgarischen Lew so schwach ist, findet ein regelrechter Einkaufstourismus in dieser Grenzregion statt, welcher dazu führt, dass die türkischen Läden wortwörtlich leer gekauft waren. Für uns führte dies zu einer herausfordernden Suche nach Lebensmitteln. Wir erkundeten uns in jedem Dorf nach einem Lebensmittelgeschäft. Für diese Suche und den Einkauf brauchten wir häufig viel mehr Zeit als erwartet, denn gerade das Zahlen erwies sich teilweise als Herausforderung. Das eine oder andere Mal wollten sie uns ihre letzten Vorräte schenken und wir mussten förmlich insistieren, die Ware bezahlen zu dürfen. Manchmal haben wir jedoch eingesehen, dass wir ihnen wohl die grössere Freude bereiteten, wenn wir ihr Geschenk annehmen.

Besonders schwierig war es frische Lebensmittel zu finden, denn die meisten Menschen haben ihr Gemüse direkt im eigenen Garten angebaut. Als wir uns in einem Laden, wo schon wieder kein Gemüse vorhanden war, nach Gemüse erkundigten, rannten die Kinder los und holten Tomaten und Gurken für uns. Vermutlich haben sie das Gemüse vor den Einkaufstouristen versteckt. Wir hatten nur währen einiger Fahrradtage mit dieser Herausforderung zu kämpfen, für viele Einheimische ist das jedoch Alltag. Für uns war das ein eindrückliches Erlebnis, über die mannigfaltigen Auswirkungen von Grenzen und Wohlstandsgefälle auf kleinem Raum.

Hunde

Während den Vorbereitungen für diese Reise stiessen wir in Erfahrungsberichten bald auf die kläffenden Vierbeiner, welche doch so das eine oder andere Herz der Velofahrenden in die Hose fallen liessen. Ein viel gelesener Rat: Davonfahren lohnt sich nicht. Man solle besser warten, bis die Hunde sich beruhigt hätten und sie von einem ablassen oder die Besitzer:in sie zurückruft. Als wir dann aber tatsächlich von drei richtig grossen, aggressiven Hirtenhunden umstellt wurden und diese uns während Minuten mit ihrem bösen Gebell einschüchterten, war uns allen nicht mehr so wohl. Der Pfefferspray, welchen wir für absolute Notsituationen eingepackt haben, führte hier auch nur zu einer bedingten Entspannung. Im Verlaufe der Reise, lernten wir die Tiere jedoch besser zu lesen und einzuschätzen. Wir wurden routinierter und bildeten mit unseren drei Fahrräder ein schützendes Dreieck aus Stahl, sobald ein Hund bellend auf uns zu gerannt kam. So richtig angefreundet mit ihnen haben wir uns jedoch bis zum Ende der Reise nicht.

Ungewissheit

Mit dem Fahrrad zu reisen war für viele, die wir auf unserer Reise angetroffen haben, völlig unverständlich. Für viele war es zudem absolut unverständlich, wieso wir unbedingt über diese schlotterige Passstrasse fahren wollten, wenn es doch eine neu asphaltierte Strasse über den anderen, deutlich niedrigeren, Pass gibt? Nahezu jedes Mal wurde versucht uns unser Vorhaben auszureden. Die Strecke sei zu gefährlich, niemand fahre dort durch. Obwohl Ratschläge und Einschätzungen von Einheimischen grundsätzlich sehr hilfreich sind, ist ihnen das Fahrradreisen so fremd, dass es für uns sehr schwierig war abzuschätzen, wie ernst wir ihre Bedenken nehmen sollten. Häufig war die Ungewissheit unsere Begleiterin und wir stellten uns immer wieder die gleichen Fragen: Ist der Weg wirklich zu steil und unwegsam für uns und unsere Fahrräder? Sind die Bären dort gefährlich für uns Menschen? Würden die Hunde tatsächlich zubeissen? Häufig haben wir uns dann für den “gefährlicheren und abenteuerlicheren” Weg entschieden. Waren wir deshalb leichtsinnig? Hatten wir einfach Glück, dass nichts passiert ist?

Das Risiko objektiv abzuschätzen ist und bleibt für uns schwierig und Unsicherheiten gehören wohl zu einer solchen Reise dazu. Aber wir wissen nun, dass sich diese Reise ins Ungewisse sehr gelohnt hat und wir wundervolle Natur und Menschen auf diesen wilden, abenteuerlichen und einsamen Wegen kennenlernen durften.