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01.05.2018 — Reisebericht

Von Kap zu Kap - Eine Veloreise der Superlative

Die zwei Luzerner Adrian Müller und Fabian Keller wollen mit dem Fahrradüber 30'000 km von Norwegen nach Südafrika zurücklegen. Dabei bereisen sie nicht weniger als 30 Länder. Seit ihrem Start im Mai 2018 hat das Duo bereits mehr als 20'000 Kilometer absolviert und kürzlich die Grenze von Ghana nach Togo überquert. Das Ziel – das Kap der Guten Hoffnung – werden die beiden voraussichtlich im Frühjahr 2020 erreichen.

Unendliche Weiten in skandinavischen Wäldern und mystische Landschaften in den Highlands.

Mai 2018. Nach einer intensiven Vorbereitungszeit sind wir froh, dass es endlich losgeht! Wir fliegen nach Tromsø (Norwegen), um danach das Schiff, das bis fast ans Nordkap fährt, zu besteigen. Bereits in Tromsø am Flughafen werden unsere Nerven auf eine Geduldsprobe gestellt. Aus dem Flugzeug beobachten wir nervös die gleichgültig der Arbeit nachgehenden Flughafenangestellten, welche die bereits völlig demolierten Fahrradkartons unsanft umherhieven. Am liebsten hätten wir ihnen zugeschrien, dass sie gefälligst vorsichtig mit unseren Velos umgehen sollen. Wenig später warten wir an der Gepäckausgabe. Und warten. Und warten. Aber unser Gepäck kommt nicht.

Als alle anderen Passagiere den Flughafenterminal verlassen haben, realisieren wir, dass wir ein Problem haben: kein Gepäck. Die nette Dame am Schalter beruhigt uns und meint, sie kläre die Situation ab. Wenig später, als die Fahrräder bereits fahrtüchtig sind, sagt die Dame, dass das Gepäck in Oslo beim Umsteigen steckengeblieben sei. Immerhin: Unser Gepäck soll morgen kostenlos zu unserem Appartement geschickt werden. Die Reise kann beginnen.

Startschuss im kalten Niemandsland Norwegens

Das Abenteuer startet am Nordkap. Die ersten Tage sind anstrengend – nicht nur der müde Beine wegen. Das gnadenlose norwegische Wetter verschlimmert die Ausgangslage um ein Vielfaches. An einer Küstenstrasse testen die Wettergötter unsere Willenskraft ein erstes Mal bis aufs Äusserste. Der leichte Regen zu Beginn stellt für uns noch kein Problem dar. Die Regenkleider tragen wir ohnehin bereits den ganzen Tag als Kälteschutz. Doch dann wird der schwache Nieselregen von immer stärker werdendem Regen abgelöst.

Bei schönstem Wetter führt uns die Strecke entlang wunderschöner Küstenlandschaften in Schweden und Dänemark.

Uns läuft das kalte Wasser über die verkniffenen Gesichter und wir schreien einander zu: «Schlimmer kann es jetzt wohl nicht mehr kommen!» Falsch gedacht. Kaum sind die Worte ausgesprochen, wechselt der Aggregatzustand von flüssig nach fest -und der Schnee fegt uns horizontal ins Gesicht. Was wir da noch nicht wissen: Nach dem strapazierenden Start in Norwegen dürfen wir uns später dafür über den Rekordsommer in den übrigen nordeuropäischen Ländern freuen.

Bei schönstem Wetter führt uns die Strecke entlang wunderschöner Küstenlandschaften in Schweden und Dänemark. Es folgen die Etappen durch Deutschland, Niederlande und Belgien, wo wir in Brüssel Fabians 30. Geburtstag mit vielen Freunden, die aus der Schweiz angereist sind, feiern. Die Reise führt uns über den Ärmelkanal (Calais-Dover) nach England, später Irland, Nordirland, Schottland und wieder nach England, wo wir den Kanal erneut überqueren (Portsmouth-Saint-Malo) und in Frankreich landen, wo vielenorts gute Fahrradwege und eine einwandfreie Strassenqualität keine Wünsche übrig lassen.

Mittelmeermentalität

Je weiter wir gegen Süden fahren, desto mehr denken wir an die Überfahrt nach Afrika – diesem uns unbekannten und mysteriösen Kontinent.

In Spanien treffen wir auf extrem gastfreundliche und kommunikative Leute. Leider sind unsere Spanischkenntnisse quasi inexistent, was die Kommunikation ziemlich erschwert. Auf dem Land spricht fast niemand Englisch oder Französisch. Zum ersten Mal auf unserem Weg nach Südafrika können wir uns nur mit Händen und Füssen mit den Ortsansässigen unterhalten.

Je weiter wir gegen Süden fahren, desto mehr denken wir an die Überfahrt nach Afrika – diesem uns unbekannten und mysteriösen Kontinent. Das erste Mal sehen wir die Küste Marokkos vom Affenfelsen in Gibraltar und spüren sofort ein intensives Kribbeln. Bald also sollte die intensive «europäische Aufwärmphase» vorbei sein – bald betreten wir den lang ersehnten Kontinent Afrika.

Fahrradtraum Marokko und die unendliche Sahara

Nach Einbruch der Nacht kommen wir mit unseren vollbepackten Drahteseln in der grellen Grossstadt Tanger an und sind durch das bunte Treiben erst einmal perplex. Die breiten Strassen sind voll von Autos, die durch wilde Überholmanöver versuchen, ein wenig effizienter an ihr jeweiliges Ziel zu gelangen. Auf den ersten Kilometern zu unserer Unterkunft stellen wir fest, dass in Afrika die Bremse durch die Hupe ersetzt wird.

Bereits nach dieser kurzen Fahrt ist uns bewusst, dass uns dieser Kontinent herausfordern wird und das Abenteuer auf uns wartet, das wir in Europa vermisst haben. Durch die weite Sahara zu radeln ist eigentlich nicht etwas, was sich ein normaler Mensch als Ziel setzt. Trotzdem legen jedes Jahr etliche verrückte Zweiradbegeisterte diese über 2000 Kilometerlange Strecke zurück. Es ist der Abschnitt, vor dem wir am meisten Respekt haben.

Es ist schweisstreibend und eine mentale Grenzerfahrung.

Glücklicherweise haben wir keine Probleme bei der Durchreise – weder mit der Wasserknappheit noch mit den Temperaturen und auch nicht mit dem Auffinden geeigneter Plätze, um wild zu campieren. Dank unseres Plans, die Sahara-Durchquerung auf die Wintermonate zu legen, sind die Temperaturen am Tag nicht zu hoch und in der Nacht relativ tief.

Dennoch: Es ist schweisstreibend und eine mentale Grenzerfahrung. Während der Durchquerung der Wüste stellen wir einen persönlichen Rekord für die längste Zeit ohne Dusche auf. Nach zehn harten Tagen, mehreren Sandstürmen und ständiger direkter Sonneneinstrahlung dürfen wir in der Wohnung von Warren, einem Warm Showers-Gastgeber in der Hauptstadt Mauretaniens, endlich unsere vor Dreck kaum wiederzuerkennenden Körper waschen.

Wir klettern auf einen der offenen, mit Eisenerz gefüllten Waggons und richten uns einen Schlafplatz auf dem unbequemen Eisenpulver ein.

In Mauretanien entscheiden wir uns, zur Abwechslung per Autostopp ins Landesinnere zu reisen. Auf dem Weg zum längsten planmässig verkehrenden Güterzug der Welt werden wir immer wieder von gastfreundlichen Einheimischen zum Tee oder Essen eingeladen. Der zweieinhalb Kilometer lange, uralte Güterzug trifft mit vierstündiger Verspätung ein.

Wir klettern auf einen der offenen, mit Eisenerz gefüllten Waggons und richten uns einen Schlafplatz auf dem unbequemen Eisenpulver ein. Wir geniessen das spezielle (Freiheits-)Gefühl, auf einem offenen Waggonmitten durch die Wüste zu fahren und kriechen frühmorgens aus unseren Schlafsäcken, um die glühende, knallorange Kugel am weiten Horizont ehrfürchtig zu bewundern.

Ein paar Stunden später erreichen wir, schwarz von Kopf bis Fuss, das Ende dieser holprigen, aber unvergesslichen Fahrt. Spätestens in Gambia haben wir Afrika definitiv in unsere Herzen geschlossen – und werfen den angedachten Zeitplan komplett über den Haufen. Wir beschliessen, die Reisedauer von 600 Tagen auf zwei Jahre zu verlängern und somit zu entschleunigen, um die kommenden Länder gemächlicher und intensiver bereisen zu können.

Bootstour ins Ungewisse

Glücklicherweise können wir dank unserer modernen Smartphones den verzweifelten und wild gestikulierenden Fischern den Weg weisen.

Die bisher aufregendste, aber auch gefährlichste Erfahrung der ganzen Reise ist die Überfahrt mit einem Boot, welche wir mit ein paar jungen Fischern in Guinea-Bissau unternehmen. Das sehr kleine, rudimentär ausgestattete Boot ohne jegliche Lichtquelle oder Navigationsgeräte hätte uns von Anfang an suspekt vorkommen sollen. So sind wir doch in der tiefen Nacht mitten auf dem Ozean völlig orientierungslos dem ständigen Wellengang ausgesetzt. Wo die Küste liegt, wissen wir plötzlich nicht mehr. Glücklicherweise können wir dank unserer modernen Smartphones den verzweifelten und wild gestikulierenden Fischern den Weg weisen – und später sicher im Flussdelta anlegen.

Armes Schwarzafrika

Nachdem wir einen weiten Abstecher in die wunderschöne und zur Abwechslung etwas kühleren Bergregion Guineas hinter uns haben, erreichen wir bald die feuchten Regenwälder Sierra Leones. Die intensive Regenzeit zwingt uns, immer öfter in abgelegenen Dörfern nach einem Unterschlupf zu suchen.

Was am Anfang ein spezielles Erlebnis ist, wird nach einigen Wochen zur Routine: Wir suchen uns jeweils ein Dorf aus, fragen uns durch, bis wir den Dorfhäuptling ausfindig machen können, offerieren ihm traditionsgemäss eine Kolanuss und werden nach deren Verzehr offiziell willkommen geheissen. Nie sind wir abgewiesen worden und es war immer selbstverständlich, dass wir uns waschen konnten und für uns gekocht wurde.

Seit Marokko haben wir uns komplett auf unser Zelt und die Gastfreundschaft der Einheimischen verlassen.

Die Bevölkerung Sierra Leones und des benachbarten Liberias sind durch Bürgerkriege und die darauffolgende Ebola-Epidemie stark dezimiert worden. Verstümmelungen, Kannibalismus, Vergewaltigungen und unter Drogen agierende Kindersoldaten sind nur einige der traurigen Geschehnisse der letzten Jahrzehnte. Umso mehr erstaunt uns die unglaubliche Herzlichkeit und Gastfreundschaft der Einheimischen. Die Leute sind zwar bitterarm, essen täglich, wenn überhaupt möglich, dreimal trockenen Reis und haben keine Aussicht auf eine geregelte Arbeit. Nichtsdestotrotz haben sie stets ein warmes Lächeln für uns übrig.

Wo sind wir momentan?

Die nicht asphaltierten Strassen sind extrem schlammig und durch den vielen Niederschlag hat es mehr Moskitos.

Die Regenzeit erschwert uns das Fortkommen ungemein. Die nicht asphaltierten Strassen sind extrem schlammig und durch den vielen Niederschlag hat es mehr Moskitos, sodass wir beide bereits eine Malariaerkrankung durchgelebt haben. Trotzdem haben wir mit der Stadt Abidjan einen weiteren Meilenstein unserer Fahrradreise erreicht.

In der Elfenbeinküste erwartet uns dank des höheren Entwicklungsgrades des Landes eine vielfältige Auswahl an Gerichten. Unsere Kochausrüstung haben wir schon vor einiger Zeit nach Hause geschickt; seither erkunden wir die einheimische Küche bis ins letzte Detail, auch wenn wir uns deswegen zwangsläufig bis zu dreimal pro Tag von diversen Reisgerichten ernähren. Seit Marokko haben wir nie mehr in kostenpflichtigen Unterkünften oder auf Campingplätzen übernachtet und uns somit komplett auf unser Zelt und die Gastfreundschaft der Einheimischen verlassen.

So haben wir mehr über die Kultur, Gewohnheiten und Probleme der jeweiligen Stämme erfahren und bisher immer einen herzlichen, unvergesslichen und intensiven Austausch mit der lokalen Bevölkerung erlebt. Aktuell haben wir über 21'000 Kilometer und 120'000 Höhenmeter zurückgelegt und verbrachten bereits mehr als 1000 Stunden im Sattel.

Die Reise geht weiter

Nach Nigeria werden wir Westafrika nach fast einem Jahr in Richtung Zentralafrika verlassen, um endlich den Äquator und somit die südliche Erdhemisphäre zu erreichen. Auf welcher Route und ob wir ohne Fähre oder Flugzeug Kapstadt erreichen werden, ist noch unklar. Denn die Visa für Nigeria und die Demokratische Republik Kongo sind aufgrund regionaler Spannungen und schwer vorhersehbaren politischen Entscheidungen schwierig zu erhalten. Es erwarten uns definitiv noch viele Erlebnisse und neue Kulturen auf dem Weg zum südlichsten Punkt Afrikas. Und wie lange wir noch unterwegs sein werden, steht in den Sternen.

Wie lange wir noch unterwegs sind, steht in den Sternen.