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23.09.2024 — Reisebericht

Ganz weit weg!

Was Alina und Ferry auf ihrer Bikepacking-Reise durch Südamerika über Liebe, Durchhalten und das über sich selbst Hinauswachsen lernten.
Vom Winde verweht in Patagonien.

Vor etwas mehr als zwei Jahren begegneten wir uns das erste Mal. Schnell wurde klar, dass ­unsere grösste Gemeinsamkeit die Abenteuerlust ist. ­Während Alina am liebsten die Alpen mit Bergschuhen, Tourenskis oder mit Klettern erklimmt, ist Ferry ein ­passionierter Mountainbiker und Abenteurer. 2018/2019 fuhr er bereits allein mit dem Velo um die Welt und legte dabei 27’000 Kilometer zurück. 2021 radelte er in 30 Tagen und 3000 Kilometer ans Nordkap.

Nichtsdestotrotz war es Alina, die das grosse Abenteuer suchte und für ein Jahr ihren Job als Primarlehrerin an den Nagel hängen wollte. Ferry lieferte dafür die passende Idee: ein Bikepacking-Abenteuer durch die Anden. Bald war also klar, dass wir mit dem Rad Südamerika von Norden nach Süden durchqueren wollten.

Eindrückliche Farbenpracht in Peru.

Nach kurzer Planung befanden wir uns dann plötzlich am Flughafen von Bogotá in Kolumbien, Ferry voller ­Vorfreude und Alina sichtlich nervös und angespannt. Für sie war es das erste Mal weit weg in einer fremden ­Kultur und Spanischkenntnisse hatten wir beide auch nicht ­wirklich. Der erste Abend entpuppte sich gleich als einer der aufregendsten und wohl auch gefährlichsten der Reise. Was wir nicht wussten, war, dass die Sonne Ende ­September in Kolumbien bereits um halb sechs ­untergeht. So bauten wir unsere Velos am ­Flughafen ­ziemlich ­gestresst auf und radelten in der anbrechenden Dämmerung durch den dichten Verkehr der kolumbianischen Hauptstadt. Unser Ziel war es, ausserhalb der Stadt einen Zeltplatz zu finden. Mit Stirnlampen ausgerüstet fuhren wir durch die Suburbs von Bogotá und suchten ziemlich verzweifelt unseren ersten Schlafplatz in der Dunkelheit. Wir machten also genau das, wovon uns alle abgeraten hatten. Not­gedrungen ­platzierten wir das Zelt schliesslich direkt neben der Strasse in ­einer ­Müllhalde, versteckt hinter einem Baum. Vor allem ­Alinas Herz pochte wie wild, als wir im Zelt im ­gedimmten Licht die übrig­gebliebenen Sandwiches des Flugs verspeisten – was war das nur für ein Start! ­Tatsächlich schliefen wir aber tief und fest, schliesslich waren wir schon über 24 Stunden wach. Mit den ersten Sonnenstrahlen sah dann alles ­etwas weniger beängstigend aus und mit neuer Energie starteten wir unser Abenteuer ans Ende der Welt.

Umgeben von Lamas beim Frühstück.

Enorme Hitze und lästige Mücken

Kolumbien versuchten wir zügig zu durchqueren, da wir möglichst schnell unser erstes grosses Ziel, die Trans Ecuador Mountainbike Route (TEMBR), ­erreichen wollten. Zudem plagten uns die Hitze und die Mücken enorm. ­Zwischendurch zeigte unser Fahrradcomputer unglaubliche 50 Grad an, doch wir schwitzten kaum, da der Schweiss gleich wieder verdunstete. Jeden Abend suchten wir mühselig einen Zeltplatz, da praktisch jeder Meter Land umzäunt war. Fanden wir endlich einen, lagen wir bald schweissüberströmt in unserer Unterwäsche im Zelt. Bald stanken wir und unsere Isomatten fürchterlich. Nicht einmal in der Nacht kühlte es ab. Da wir oft von Hunderten von Mücken umgeben waren, konnten wir aber das Zelt nicht offenlassen. Vor allem Alina hatte sich den Start ganz anders vorgestellt. Die Veloreise, auf welche sie sich anfänglich so gefreut ­hatte, entpuppte sich als unglaublich hart. Die schlaflosen Nächte, die Hitze, die ­körperliche Anstrengung und die fremde Kultur machten ihr zu schaffen. So kullerten immer wieder dicke Tränen über ihre Wangen. Doch Aufgeben war keine Option und die kolumbianische Gastfreundschaft zauberte zwischendurch ein Lächeln auf unsere Gesichter. Immer wieder wurde uns eine gekühlte Wasserflasche in die Hand gedrückt, aufmunternde Worte ­zugesprochen oder bei einer Pause am Strassenrand Essen vorbeigebracht. Trotzdem waren wir froh, als wir die Grenze zu Ecuador erreichten.

Inmitten tausender Espeletia-Pflanzen.

Neue Höhen

In Ecuador verabschiedeten wir uns von der drückenden Hitze und begaben uns nach dem Grenzübergang in neue Höhen. Die Route führte uns durch ­wunderschöne Landschaften. Endlich waren wir da, wo wir sein wollten! Nun kämpften wir zwar mit steilen, anspruchsvollen Strassen und der dünnen Luft auf 4000 Meter über Meer. Beschenkt wurden wir dafür mit der einsamen, kargen Landschaft unserer Träume. Unsere Velos brachten uns bis auf 4800 Meter über Meer ans Basislager des Vulkanbergs Chimborazo. Mit 6263 Metern über Meer ist er wegen seiner Nähe zum Äquator der am weitesten vom Erdmittel­punkt entfernte Punkt auf der Erdoberfläche. Die Chance, diesen zu besteigen, konnten wir uns nicht entgehen lassen. An die Höhe hatten wir uns einigermassen gewöhnt, schliesslich war unser Zelt auch auf 4800 Metern zu unserem ­geliebten Zuhause geworden. Trotzdem pochten unsere Herzen, als es bereits um 23 Uhr zusammen mit unserem Guide José mit Steigeisen und Pickel ausgerüstet losging. Pünktlich zum Sonnenaufgang erreichten wir dann überglücklich und nach Luft ringend «The Top of the World» – mit Sicherheit einer der eindrücklichsten Momente der ganzen Reise!

Voller Freude vor dem Berg Ausangate.
Aufstieg auf den Chimborazo.
Beim Sonnenaufgang auf 6263 M .ü. M.

Nach diesem persönlichen Erfolg erwartete uns bereits die nächste ­frohe Nachricht. Lilian, Alinas Zwillingsschwester, packte ebenfalls ihre sieben Sachen zusammen und begleitete uns drei Wochen auf unserer Reise. Diese Zeit war aber leider geprägt von Krankheiten. Wir litten alle drei immer wieder an Übelkeit und Durchfall. Alina erwischte es irgendwo im ­Nirgendwo richtig heftig. Mit über 40 Grad Fieber, Kopfweh, Übelkeit, Durchfall, Schüttelfrost und Hitzewallungen lag sie im Zelt und konnte kaum noch ihre Augen öffnen. So schlimm ging es ihr noch nie in ihrem Leben. Gottseidank waren wir zu dritt und Lilian als Assistenzärztin kümmerte sich hervorragend um Alina. Der Wille, jeden Kilometer von Bogotá nach Ushuaia mit dem Fahrrad zu fahren, brachte uns die kommenden Tage in eine schwierige Situation. ­Schliesslich hatten wir bald keine Vorräte mehr und das nächste Dorf hatte weder ein Krankenhaus noch eine Unterkunft. So schleppten wir uns in der vierfachen Zeit zum nächsten bewohnten Ort, nur um dort auch bei der Polizei keine Schlafmöglichkeit zu bekommen. Zum Glück fanden wir dann kurz nach dem Dorf einen Platz zum Campieren, wo Alina am Ende der Kräfte die nächsten 24 Stunden keinen Finger mehr rührte. Dieses Prozedere ging so weiter, bis nach einer Woche die ­Energie bei Alina endlich wieder langsam zurückkam und wir die verlorenen fünf Kilogramm Körpergewicht in der nächsten grossen Stadt mit Unmengen an Eis wieder zurückzugewinnen versuchten.

Abschied nehmen von Lilian.

Im Schatten der Regenzeit

Trotzdem erreichten wir mit Lilian Land Nummer drei und freuten uns auf die nächste grosse Herausforderung – Peru. Leider mussten wir uns kurz nach der Grenze wieder von ihr verabschieden. Während sie eine ­abenteuerliche Busfahrt nach Lima vor sich hatte, radelten wir zu den ­höchsten Bergen Perus. Wir wussten, dass wir nicht die optimale Jahreszeit ­gewählt hatten, um Peru zu erkunden. Leider konnten wir aber nicht früher aus der Schweiz abreisen und so erreichten wir die peruanischen Anden pünktlich zum Beginn der Regenzeit. Es dauerte nicht lange, bis wir bemerkten, was dies für uns bedeuten würde. Grundsätzlich standen wir um 5 Uhr morgens mit den ersten Sonnenstrahlen auf und wurden spätestens um 14 Uhr von heftigen Gewittern eingeholt. Das wäre ja alles nicht so schlimm, aber da wir die meiste Zeit auf über 4000 Metern über Meer unterwegs ­waren, wurden wir das eine oder andere Mal an unsere körperlichen Grenzen gebracht. Auch auf der wunderschönen Cordillera Blanca-Runde wurden wir auf 4700 Metern von einem Gewitter überrascht, welches bald in starkem Schneefall überging. In Rekordzeit bauten wir unser Zelt mit eiskalten ­Händen direkt neben der Strasse auf und staunten nicht schlecht, als unsere Velos kurze Zeit später von einer dicken Schneeschicht bedeckt waren. Im warmen Zelt mussten wir über die Situation aber nur laut lachen und waren dankbar, den Schnee zu Trinkwasser schmelzen zu können.

Zusammen machts mehr Spass.
Durchbeissen gehört auch dazu.
Vom Schnee in grosser Höhe überrascht.

So lustig wie auf diesem Pass war es dann aber doch nicht immer. Ein ­anderes Mal suchten wir, den Tränen nahe, bei einem Hirten Unterschlupf, da wir unsere Glieder kaum mehr spürten und wir bis auf die Unterhosen nass ­waren. Nichtsdestotrotz waren wir überwältigt von Peru. In den sonnigen Morgenstunden waren wir umgeben von den schönsten Bergen, die wir je in unserem Leben gesehen haben. Wir bauten unser Zelt mit Blick auf den Gletscher auf, sahen tagelang kaum Menschen, schoben unsere Velos an Lama-Herden vorbei, wurden von freundlichen Peruaner:innen eingeladen und sahen Landschaften, von denen wir heute noch träumen. Peru entpuppte sich für uns trotz Regenzeit als der absolute Favorit für eine Bikepacking-Reise. Wer Abenteuer und atemberaubende Landschaften sucht, wird dies hier finden. So verbrachten wir zwei Monate in diesem faszinierenden Land und können uns gut vorstellen, wieder einmal zurückzukehren.

Torres del Paine Nationalpark.

Peru verlangte von uns aber auch mit Abstand am ­meisten. In den ersten 100 Tagen radelten wir 100’000 ­Höhenmeter. Die unglaublichen Höhen, die Regenzeit, die kleinen Dörfer mit spärlichen Einkaufsmöglichkeiten und die schwierigen Strassenverhältnisse forderten nicht nur unsere Körper, sondern auch unsere Beziehung. Auf einer solchen Reise erlebt man die höchsten Höhepunkte und die tiefsten Tiefpunkte. So schön es ist, all dies mit dem Menschen, den man liebt, zu teilen, ist es ziemlich anspruchsvoll, 24/7 jede Minute miteinander zu ­verbringen und die ­Gefühle nicht aneinander auszulassen. Dann aber kam Bolivien…

Bolivien als Wendepunkt

Wir hatten wenig Vorstellung von Bolivien und waren uns sicher, nach unserem Lieblingsland Peru den Höhepunkt erreicht zu haben. Natürlich wollten auch wir den ­berühmten Salar de Uyuni – den grössten Salzsee der Welt – überqueren. Mit ordentlich Gegenwind radelten wir über die riesige Fläche und sahen Salz soweit unser Auge reichte. Wir erlebten einen Sonnenuntergang par excellence und verbrachten dann aber dank dem starken Wind eine weitere kurze Nacht. So entschieden wir am nächsten Morgen den Salar de Uyuni wieder zu ­verlassen. Kurze Zeit später steckten wir im Schlamm fest und konnten ­unsere voll beladenen Velos nur noch mit Müh und Not Meter um Meter vorwärtsschieben. Die Anstrengungen wollten einfach kein Ende nehmen. Als wir salzig und ­dreckig im nächsten Dorf ankamen, wurden wir von ­einer ­bolivianischen Familie eingeladen, die uns wohl ­ansah, dass wir am Ende unserer Kräfte waren. Die ­letzten ­Monate hatten ihre Spuren an uns hinterlassen. Wir ­verbrachten den Nachmittag bei dieser Familie am Tisch und redeten über Gott und die Welt. Wir wurden dermassen herzlich empfangen und zumindest für Alina, die in den ersten drei Monaten ordentlich zu kämpfen hatte, ­änderte sich die Reise nun grundlegend.

Fantastischer Sonnenuntergang auf dem Salar de Uyuni.
Gemeinsam bis ans Ende der Welt.

Die Veloplus-Ausrüstung von Regula und David

Die nächsten Tage flogen nur so an uns vorbei und wir wuchsen mit jeder Stunde besser zu einem unglaublichen Team zusammen. Wir ­verliebten uns in die raue, karge und endlose Landschaft Boliviens. Nicht einmal der teils heftige ­Gegenwind trübte unsere Stimmung und oft radelten wir freudeschreiend durch die schier endlose Pampa. Wir fühlten uns so frei wie ein Vogel und konnten es kaum ­erwarten, am nächsten Tag wieder auf unser Velo zu ­steigen. Ein Gefühl, welches wir bis an unser Lebensende mittragen werden. Dementsprechend schnell rasten die Tage an uns vorbei und wir waren traurig, bereits nach etwas mehr als zwei Wochen Abschied von Bolivien nehmen zu müssen.

Dem Ende so nahe

Trotzdem freuten wir uns auf einen Wechsel, denn nach über vier Monaten in den Anden verabschiedeten wir uns von den Bergen und radelten an die chilenische Küste. Die frostigen Temperaturen auf 4000 Metern über Meer tauschten wir mit der salzigen Meeresluft Chiles. Wir freuten uns über die für uns so enormen ­Auswahlmöglichkeiten in den Supermärkten und staunten jeden Tag über die ­unglaubliche Gastfreundschaft der Chilen:innen. An keinem Ort wurden wir so herzlich aufgenommen wie im Norden Chiles. Wir radelten durch die Atacama-Wüste und an der sandigen Küste entlang, bis es langsam immer grüner wurde und wir das letzte grosse Kapitel dieser Reise erreichten: Patagonien.

Alles, was wir zum Leben brauchen.

Mit den vielen Seen, Bergen, den angenehmen Temperaturen und der guten Infrastruktur fühlten wir uns wie zu Hause. Anfänglich genossen wir diesen Luxus, aber schon bald vermissten wir die einfachen und traditionellen Verhältnisse von Bolivien und Peru. Trotzdem staunten wir auch hier jeden Tag aufs Neue, wenn sich vor uns die spitzen Berge auftürmten, der berüchtigte Wind uns von der Strasse blies oder wir einen wunderschönen Zeltplatz inmitten der Natur fanden. Wir teilten nun die Strassen mit anderen Radreisenden und fuhren immer weiter in den Süden ans Ende der Welt. Es wurde immer kälter und kälter und der ­Winter liess nicht mehr lange auf sich warten. Warm eingepackt bestaunten wir die Herbstfarben und Ferry schoss vom Morgen bis am Abend unzählige Bilder.

Mit dem Winter im Nacken erreichten wir Feuerland und damit die letzten 500 Kilometer unserer Reise ans Ende der Welt. Wir versuchten jede Minute des Tages zu geniessen und auszukosten. Zu Beginn wirkte das Ende unserer Reise so weit weg und für Alina in den ersten drei Monaten unerreichbar. Viele Tränen wurden verschüttet, viele Flüche in den Himmel geschrien und nun war das Ziel so nahe! Dieses Chaos der Gefühle begleitete uns durch den Tag, irgendwie waren wir plötzlich noch nicht bereit, die Reise zu beenden. Wir zögerten die letzten Tage noch etwas hinaus. Als wir mit Tränen in den Augen durch die Tore ­Ushuaias fuhren, konnten wir es kaum glauben. Unsere Reise hatte ein Ende. In 210 Tagen erreichten wir nach fast 13’000 Kilometern und über 170’000 Höhenmetern das Ende der Welt. Wir kehrten als gestärktes Team mit tausenden Erinnerungen zurück in die Schweiz. Erinnerungen, die wir nie, nie vergessen werden

Abenteuer beginnen im Kopf. Werden in der Welt lebendig und enden in Geschichten daheim.

Marlene Rybka