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22.09.2022 — Reisebericht

Mit 19 Jahren in 7 Monaten durch 44 Länder

Veloplus-Kunde Tobias Renggli hatte das Abenteuer seines Lebens. Nachdem er 2020 mit dem Velo durch alle Kantone der Schweiz gereist war, suchte er nach einem noch grösseren Abenteuer. Ausgerüstet mit seiner Velo- und Bergsteiger-Ausrüstung war sein Ziel, mit dem Velo durch jedes Land von Europa zu reisen und dabei jeweils auch noch auf den höchsten Berg jedes Landes zu steigen. Was für ein Projekt!

Wer glaubt, dass Abenteuerlust und Neugierde mit solch einem Projekt gestillt werden, der täuscht sich!

Tour dör d’Schwiiz 2020

«Wieso nicht?», fragt mich mein Sport- und Deutschlehrer im Februar 2020, als ich die Idee einer «Tour dör d’Schwiiz» als Maturaarbeit aus meinem Kopf streichen will. Eine berechtigte Frage, denke ich mir. Wieso eigentlich nicht alle 250 Städte der Schweiz mit dem Fahrrad besuchen, den höchsten Berg in jedem unserer 26 Kantone besteigen und schliesslich daraus eine knapp 200 Seiten lange Maturaarbeit schreiben?

In meinem Kopf gab es keine Grenzen, angetrieben wurde ich von unerschöpflicher Neugierde, Abenteuerlust und Schoggiguetzli.

So kommt es, dass ich die Wochen nach meinem 16. Geburtstag mehrheitlich in den Bergen und auf dem Sattel meines neuen Rennrads verbringe. Bald einmal fällt zum ersten Mal die 200km-Marke, die längste Tagesetappe war schlussendlich über 500km lang, gespickt mit knapp 6'000 Höhenmeter in ziemlich genau 24 Stunden. In meinem Kopf gab es keine Grenzen, angetrieben wurde ich von unerschöpflicher Neugierde, Abenteuerlust und Schoggiguetzli.

Die Dufourspitze, meinen ersten 4000er, besteige ich als Tagestour ab Zermatt. Knapp 50 Kilometer mit 3'800 Höhenmeter über endlose Gletscher und Grate. Ohne Akklimatisation, dafür mit aufgewärmten Beinen nach der Radfahrt von Luzern nach Zermatt mit dem ganzen Bergsteigmaterial am Rücken. Schlussendlich habe ich in insgesamt 38 Tagen 7'000 Kilometer und um die 100'000 Höhenmeter zurückgelegt, 26 Kantonshöhepunkte bestiegen, alle 250 Schweizer Städte besucht, 52 Pässe überquert, meine Liebe zum Rennradfahren und Bergsteigen entdeckt und die Fähigkeiten des menschlichen Körpers zu schätzen gelernt. Und wer glaubt, dass Abenteuerlust und Neugierde mit solch einem Projekt gestillt werden, der täuscht sich!

Mit 19 Jahren in 7 Monaten durch 44 Länder geradelt und geklettert

2 Jahre später, 4 Monate nach der Matura und nur sechs Tage nach der RS zieht es mich wieder ins Ungewisse. Nach Europa. Wohin genau? Eigentlich überall! In alle 44 Länder des europäischen Festlandes und in jedem einzelnen davon auf den höchsten Berg und in die Hauptstadt. Wie man einen platten Reifen repariert, weiss ich eigentlich nicht so genau, ohnehin bin ich auf handwerklicher Ebene nicht allzu geschickt, dafür ist die Route grob geplant, meine eigene Website steht und das nötigste Material habe ich auch beisammen.

Mit diesem Setup reist Tobias Renggli in 7 Monaten durch 44 Länder.

215 Kilometer pro Tag im Durchschnitt sind hart aber machbar.

Am 13. November breche ich auf in Richtung Süden, die ersten Sonnenstrahlen erwarten mich etwa eine Woche später irgendwo am Atlantik in Nordspanien. Die iberische Halbinsel ist ein Traum! Lissabon, die Algarve, 3500 Meter hohe Berge in der Sierra Nevada, Sevilla, Malaga, Granada, San Sebastian, Bilbao, Madrid, Valencia, Barcelona oder märchenhafte Winterlandschaften in Andorra, um nur ein paar Highlights zu nennen.

Via Südfrankreich, Monaco und Italien komme ich einen Tag vor Weihnachten wieder nach Hause. 215 Kilometer pro Tag im Durchschnitt sind hart aber machbar, ein Zelt braucht man gar nicht zwingend, der dunkle, kalte und nasse europäische Winter ist nicht unbedingt die ideale Zeit für Bikepacking- und Bergsteig-Abenteuer und Europa mit dem Fahrrad ist wunderschön. Dies sind ein paar Erkenntnisse, die ich von dieser Aufwärmrunde mitnehme.

Kurz nach Neujahr soll es wieder weitergehen, schliesslich warten noch immer 40 Länder auf mich. Doch das Schicksal will mir den zähen Winter dort draussen ersparen. Am zweiten Tag im 2022 breche ich mir bei einem Skiunfall ein paar Mittelhandknochen, meinen 19. Geburtstag verbringe ich nicht wie geplant auf dem Fahrrad im sonnigen Süden Italiens, sondern mit 2 Metallplatten und 8 Schrauben in der Hand daheim.

Bella Italia!

Zwölf Wochen hätte ich zu Hause verweilen sollen, doch nach fünf hatte ich die Nase voll. Mit Schiene an der Hand zog ich wieder los für eine zweiwöchige Test-Tour durch Italien. Noch vor der Landesgrenze merke ich, dass ich nicht so gut Bremsen kann, aber irgendwie wird das schon gehen. Mailand, Genua, Cinque Terre, Florenz, Pisa, Siena, Rom, Vatikan, San Marino, Rimini, Venedig, Verona, Gardasee und unzählige traumhafte italienische Städtchen, deren Namen ich schon wieder vergessen habe – Italien ist fantastisch! Und dann das Essen!

Ende Februar kämpfe ich mich bei -12 Grad und heftigsten Windböen mitten in der Nacht über den Berninapass, tags darauf über den schneebedeckten Julier. Meine Hand hält, die Motivation ist riesig und man ist körperlich leistungsfähig, wenn man sich ausschliesslich von Pizza ernährt – dies die wichtigsten Erkenntnisse dieser Italien-Runde.

Die Motivation ist riesig und man ist körperlich leistungsfähig, wenn man sich ausschliesslich von Pizza ernährt.

Im März breche ich zum dritten und letzten Mal auf. 37 Länder in 5 Monaten warten noch immer auf mich. Am dritten Tag erreiche ich Paris, am fünften England und nach weniger als einer Woche bin ich bereits an der Atlantikküste in Irland. In den schottischen Highlands finde ich unberührte Wildnis und zu mir selbst. Über 30% steile Pässe gelange ich zurück nach Wales und in den Süden Englands, bevor die Landschaft in den Benelux-Staaten wieder monoton flach wird, die Städte dafür umso schöner.

Richtig einsam, wird es in Skandinavien. Weit nördlich des Polarkreises, unweit vom Nordkapp, befinden sich die höchsten Berge von Schweden und Finnland. Wer sie um diese Jahreszeit besteigen will, der muss jeweils über 50 Kilometer durch den Schnee stapfen. Und auch wenn mir in Lappland der eisige Wind die Scheeflocken um die Ohren tanzen lässt, kann es viel friedlicher kaum noch werden.

Im Baltikum finde ich nicht nur den Frühling, traumhafte Städte und weite Landschaften, sondern auch katastrophale Strassenverhältnisse, unfreundliche Leute, «interessantes» Essen und zu allem heran werde ich von der litauischen Militärpolizei an der Grenze zu Belarus verhaftet. Mein Aufenthalt in der alt-sowjetischen Militärstation war aber nur von kurzer Dauer, so dass es kaum gereicht hat, mein Handy einmal voll zu laden.

In Polen, Deutschland und Österreich gewöhne ich mich schon fast wieder an die westliche Infrastruktur, das Tatra-Gebirge in der Slowakei erinnert mich ein wenig an die Alpen. Interessant wird es wieder in Rumänien. Lange habe ich mir überlegt, das Land wegzulassen. Miese Strassenverhältnisse, viel Armut und insbesondere die Strassenhunde machten mich nervös. Doch schlussendlich finde ich dort atemberaubende Berglandschaften, kurvenreiche Strassen, köstliches Essen, Wölfe, Bären und insbesondere die unglaublich wertvolle Erkenntnis, dass es uns in der Schweiz auf ganz vielen Ebenen einfach gut geht!

Zurück am Meer

In der Türkei erreiche ich nach langer Zeit wieder das Meer, bin fasziniert von der Lebhaftigkeit, Energie und Vielfalt in Istanbul, von der endlosen Gastfreundschaft der Menschen. Einen Döner gibt’s für weniger als zwei Euro und mit etwas Glück kriegt man gratis noch eine Lebensmittelvergiftung dazu. Hunde hat es nicht weniger als in Rumänien oder Bulgarien, doch irgendwie scheinen sie hier weniger aggressiv zu sein. Im Süden bereue ich es zum ersten Mal, dass ich kein Zelt, sondern nur aufblasbare Matte und einen Schlafsack dabeihabe. Denn vor Regen und Schnee konnte ich mich stets verstecken, schlimmstenfalls in einer Bushaltestelle, dort ist zu meinen Schlafzeiten so zwischen Mitternacht und sechs Uhr morgens ohnehin nicht viel los. Aber bei über 28 Grad in der Nacht, Insekten, Schlangen und wilden Hunden ist es so ganz ohne Zelt schon unangenehm.

In Griechenland machen mir Temperaturen gegen die 45 Grad das Leben schwer und der erste Sonnenstich lässt nicht lange auf sich warten. Auf dem Olymp – mit knapp 3000 Metern Höhe der höchste Berg Griechenlands – traf ich Toni aus dem Tirol. Toni ist 68 Jahre alt, war sein ganzes Leben lang Käsemeister, hat Österreich noch nie in seinem Leben verlassen, aber träumt schon seit seiner Kindheit davon, eines Tages auf den Olymp – den Berg der Götter – zu steigen. So hat er vor kurzem zwei Kühe verkauft und leistete sich mit diesem Geld die Autofahrt durch den ganzen Balkan bis nach Griechenland, um nun gleichzeitig wie ich hier oben zu stehen. Eine wunderbare Begegnung.

Traumhafte Landschaften und gefährliche Hunde

Nach Athen geht es für mich weiter kreuz und quer durch den Balkan. Und immer, wenn ich dachte, dass es schön ist, wurde es noch schöner. In Albanien verlor ich zum ersten Mal auf dieser Reise ein Wettrennen gegen die Hunde. Gigantisch gross waren sie. Drei Stück. Das Blut strömte nach dem schmerzhaften Biss an meinem Bein herunter und wird von den weissen Socken aufgesogen. Die Tage darauf sind der reinste Horror. Die medizinische Versorgung in Albanien ist katastrophal, an eine Tollwutimpfung ist nicht zu denken, aber die Hilfsbereitschaft der Einheimischen macht die Situation erträglich.

Und immer, wenn ich dachte, dass es schön ist, wurde es noch schöner.

Schlussendlich entwickelte sich Albanien dann doch noch zu einem meiner Lieblingsländer. Abgesehen von Sarajevo in Bosnien ist diese Ecke Europas nicht unbedingt meine erste Priorität für einen Städtetrip, aber verliebt habe ich mich in die Landschaft, die Berge, die Wildnis, das Meer, die Leute und das günstige Essen im Balkan.

In Kroatien finde ich wieder in die Zivilisation, kurz darauf bin ich bereits zurück in den Alpen, also quasi zu Hause. Die teils über 4000 Meter hohen Landeshöhepunkte in den Alpenländern sind anspruchsvoll, aber wunderschön. Und mit jedem Gipfel, den ich besteige, komme ich meinem Ziel, aber auch dem Fernweh ein Stück näher. Es gab Zeiten auf dieser Reise, da wollte ich nichts mehr, als zu Hause zu sein. Doch so langsam realisiere ich, wie verdammt gut die Zeit dort draussen war.

Mit 19 Jahren 44 Länder, um die 400 Städte, all die Berge, Seen, Nationalparks oder Meere in 7 Monaten zu besuchen, all diese Begegnungen, die Emotionen und Abenteuer zu erleben, das ist einfach nur ein Privileg.

Man muss nicht darüber diskutieren, dass es Momente gibt, die einfach nur als hart sind, dass es zeitweise Dinge gibt, die man als 19 Jähriger lieber tun würde, als tagtäglich alleine und nur mit Schlafsack und Mätteli bei jedem Wetter 200+ Kilometer auf dem vollbepackten Fahrrad zurückzulegen. Aber am Ende sind die positiven Momente definitiv überwiegend. Mit 19 Jahren 44 Länder, um die 400 Städte, all die Berge, Seen, Nationalparks oder Meere in 7 Monaten zu besuchen, all diese Begegnungen, die Emotionen und Abenteuer zu erleben, das ist einfach nur ein Privileg. Auf einer solchen Reise lernt man sich auf ganz vielen Ebenen selbst besser kennen, man hat Zeit, um über alles Mögliche nachzudenken. Man merkt, was man wirklich braucht – für mich sind das vor allem Menschen, die mir viel bedeuten - und auf was man gut verzichten kann. Man realisiert vielleicht auch, was es braucht, um glücklich zu sein. Materielle Güter sind es auf alle Fälle nicht, so viel soll verraten sein. Und insbesondere lernt man viele Dinge, die selbstverständlich zu sein scheinen, wieder so richtig zu schätzen.

Mit diesen Erkenntnissen kehre ich Mitte August nach 36'000 Kilometern durch 44 Länder wieder nach Hause zurück und habe nun während dem Studium an der ETH genug Zeit, um die ganzen Eindrücke zu verarbeiten und über nächste Projekte nachzudenken.

Es gab Zeiten auf dieser Reise, da wollte ich nichts mehr, als zu Hause zu sein. Doch so langsam realisiere ich, wie verdammt gut die Zeit dort draussen war.

Tobias Renggli wird zuhause in seinem Dorf warm empfangen von Freunden und Familie.

Tobias Rengglis Route durch Europa

Herzliche Gratulation Tobias!

Wir gratulieren Tobias ganz herzlich zu dieser unbeschreiblichen Leistung und dem Abenteuer seines Lebens. Und selbstverständlich wünschen wir ihm auch alles Gute für all die Abenteuer die noch vor ihm liegen!