J edes Mal stellen wir uns der Herausforderung, ein Programm zu gestalten, welches allen Familienmitgliedern einigermassen Spass macht. Milo (15) würde am liebsten jeden Tag eine Strecke mit mindestens 200 Kilometern und 2000 Höhenmetern zurücklegen. Deshalb nimmt er am meisten Gepäck und ist für die Routenplanung zuständig. Meret (13) hätte nichts dagegen, den ganzen Tag lang am Meer Spagatsprünge und Saltos zu üben. Surya (10) braucht neben dem Velofahren noch Zeit, mit Stecken, Moos und Steinen alle möglichen Gärtchen und Häuschen zu bauen. Und Orla (8) macht alles mit, solange wir singen oder irgendwelche Kilometerspielchen spielen oder ihr die Eltern – Simone (43) und Gregi (47) – oder die älteren Geschwister spannende Geschichten erzählen.
Wir haben schon eine Unmenge Stories über die Veloabenteurer Fritz und Vreni erfunden. Bis jetzt beschränkte sich Europa für uns auf Frankreich. Wir radelten jeweils von zuhause los und landeten am Mittelmeer, am Atlantik oder auf einem Pass an der Grenze zu Spanien. Doch diesmal war alles anders. Wir steckten uns und unsere Fahrräder in einen Zug nach Hamburg und weiter nach Flensburg, das an der Grenze zu Dänemark liegt. Da die Veloplätze im Nachtzug für den Zeitpunkt unserer Reise bereits im Februar alle ausgebucht waren, reisten wir am Tag und übernachteten in einer Jugi.
In der norwegischen Berglandschaft fühlten wir uns zuhause.
Ursprünglich hätten wir mit dem Zug bis Oslo reisen wollen, um möglichst viel Zeit auf den Velos im gebirgigen Norwegen verbringen zu können. Die Berge haben es uns nämlich besonders angetan! Das wäre allerdings zu teuer und zu kompliziert geworden, wir hätten noch ungefähr sechs Mal umsteigen müssen. Deshalb beschlossen wir kurzerhand, die gut fünfhundert Kilometer durch Dänemark per Velo möglichst schnell hinter uns zu bringen.
Guten Mutes starteten wir am 10. Juli 2017 in Flensburg und fuhren an vielen goldenen Feldern vorbei und mitten durch hübsche Städtchen. Besonders beeindruckt hat uns Møgeltønder, wo fast alle Häuser mit Stroh gedeckt sind und schmucke Blumen die Vorgärten zieren. Es gab kaum Verkehr. Für viele Leute mag diese Landschaft das absolute Veloparadies sein. Die ersten von uns begannen hingegen schon ein bisschen die Berge zu vermissen. In den nächsten Tagen lernten wir den Gegenwind kennen. Er blies so heftig, dass wir zeitweise kaum vom Fleck kamen. In der Nähe des Meeres war er am stärksten. Wir mussten unsere Route mehr ins Landesinnere verlegen, damit wir etwas geschützter waren. Allerdings ist man ohne Wald, mitten in flachen Feldern, nirgendwo sehr geschützt.
Doch quasi aus dem Nichts tauchten auf einmal schöne Plätzchen auf.
Auch Regen machte uns zu schaffen. Bei diesem Problem bot uns unsere Ausrüstung wenigstens Schutz. Wir übernachteten zweimal auf sogenannten Primitivcampingplätzen, die uns Milos Handy-GPS vorschlug. Wir misstrauten der Sache zuerst. Alle waren müde und es war weit und breit kein Mensch zu sehen. Doch quasi aus dem Nichts tauchten auf einmal schöne Plätzchen auf. Es gab eine Wasserstelle und eine Wiese zum Zelten, beim ersten sogar ein Klohäuschen, Tische und Bänke und hölzerne Schlafstellen. Und das erst noch gratis. Wir waren ganz allein und Milo natürlich stolz auf seine Entdeckung.
Am 14. Juli erreichten wir Hirtshals. Wir waren sehr gespannt darauf, am nächsten Morgen mit der Fähre nach Kristiansand überzusetzen. Endlich würden wir in Norwegen ankommen! Die Kinder vergnügten sich am Strand und hüpften um die Wette. Jetzt war Meret in ihrem Element! Bloss die vielen Quallen im Sand verdarben den Kindern ein bisschen die Freude. In diesem Moment wussten wir noch nicht, dass uns zwölf Stunden später die Freude noch um ein Haar ganz vergangen wäre.
Rechtzeitig packten wir unsere Sachen zusammen und machten uns auf Richtung Fährhafen. Wir reihten uns in eine der Autokolonnen ein und warteten geduldig. Als wir endlich beim Schalterhäuschen anlangten und die Billette kaufen wollten, schickte uns der Beamte zum Häuschen nebenan. Wir reihten uns also erneut in eine lange Autoschlange ein, inzwischen verging ziemlich viel Zeit. Doch auch diesmal wollte die Frau am Schalter nicht zuständig für Fahrradtickets sein und schickte uns zum Schalterhäuschen Nummer eins.
Nun warteten wir nicht mehr geduldig, sondern nervös. In weniger als einer halben Stunde ging die Fähre! Endlich, endlich konnten wir die Karten kaufen und fuhren die Rampe zur Fähre hinunter. Doch kaum unten angekommen, rannte uns jemand hinterher und winkte Gregi wie wild zurück. Er müsse mitkommen. Wir drehten fast durch. Es handelte sich nur noch um Augenblicke bis zur Abfahrtszeit der Fähre! Kein einziges Auto stand hinter uns! Wir warteten also auf Gregi, während uns die Fährleute ununterbrochen hektisch zu verstehen gaben, dass wir jetzt auf die Fähre kommen sollten. Wir erklärten, dass wir noch auf jemanden warteten, aber das war ihnen egal. Eine schwarze Rauchwolke begann aufzusteigen, die Motoren machten einen gewaltigen Lärm, die Klappe wurde schon ein Stück weit hochgeklappt, da raste Gregi heran. Milo machte bereits Anstalten, über die Abschrankung zu klettern, und unserem Bitten, Betteln und Fluchen nachgebend, liess man schliesslich die Klappe nochmals runter und uns in letzter Sekunde doch noch auf die Fähre. Das war knapp! Die Klappe ging wieder hoch und schon waren wir auf dem Meer draussen.
Es wuchsen viel mehr Heidelbeeren als wir essen konnten!
Offenbar hatte Gregi noch teure Sitzplätze kaufen müssen, obwohl wir diese gar nicht brauchten, da wir die ganze Zeit draussen auf dem Deck sassen und uns vom Schreck erholten. Während der dreistündigen Überfahrt sprachen uns verschiedene Leute an, die unseren speziellen Auftritt vorher von oben verfolgt und sich über unser spätes Erscheinen gewundert hatten.
Von Kristiansand radelten wir nördlich über Evje nach Rjukan und weiter – entlang der Hardangervidda – über viele Pässe bis Nesbyen und Dokka. Gregi musste Orla und Surya eine sehr lange «Fritz und Vreni»-Geschichte erzählen… Von hier ging es wieder in südlicher Richtung, dem kaum endenden Randsfjorden-See entlang und schliesslich durch den Wald bis Oslo. Erst fanden wir Unmengen von fantastischen Heidelbeeren, später schickte uns das GPS auf einen völlig verwilderten, im Dickicht kaum erkennbaren Wanderweg.
Wir hatten Glück und kriegten oft die Sonne zu Gesicht, allerdings war es auch häufig windig und recht kalt. Abends um elf zeigte das Thermometer nur noch 6 Grad. Übrigens sassen wir um diese Zeit oft noch beim Abendessen. Die langen Tage brachten unseren gewohnten Rhythmus durcheinander, und besonders Orla kriegte darum leider zu wenig Schlaf. Wir brauchten eine Weile, bis uns klar wurde, dass auch die Mücken diese Uhrzeit für ihre Angriffe bevorzugten. Kurz vor der Dämmerung stachen sie hemmungslos zu. Manchmal halfen Gesichtsmoskitonetze, manchmal blieb nur noch die Flucht ins Zelt.
Wir zelteten meistens wild, nach Möglichkeit an einem See oder zumindest an einem Bach. Da in Südnorwegen aber an fast jedem noch so abgelegenen schönen Plätzchen eine Wochenendhütte steht, war es manchmal gar nicht so einfach, eine geeignete Stelle zu finden, auf der wir das Zelt aufstellen konnten. Auch Sumpf und Stauden mochten die flachen Stellen am liebsten.
So kam es, dass wir an gewissen Tagen ungeduscht in die Schlafsäcke kriechen mussten, was unser Teenagermädchen nicht so toll fand. Dafür machten wir dann Mittagspause an einem eiskalten See und shampoonierten unter viel Gekreisch, Schimpfen und Lachen unsere Haare ein.
Auf wunderbaren Velowegen lotste uns das GPS quer durch Oslo, von wo unsere Reise über Vestmarka, Arvika, Åmål, Vänersborg ihrem Ende in Göteborg entgegen ging. Just an der Grenze zu Schweden, mitten im Wald, wurde zu unserer Belustigung aus der Teerstrasse eine Kiesstrasse. Besondere Highlights in Schweden waren die 3000-jährigen Felszeichnungen in Högsbyen (Dalsland) und der Vänernsee, der drittgrösste See Europas. An seinem feinen Sandstrand fühlt man sich wie am Meer.
Am 28. Juli erreichten wir nach 1730 geradelten Kilometern unser Ziel: Göteborg. Bei strömendem Regen stiegen wir am Tag darauf ganz ordnungsgemäss auf die Fähre und fuhren über Nacht zu sechst in einer Fünferkabine nach Kiel und mit dem Zug zurück ins Emmental.
Reiseinfos
Route
:
Unsere Reise führte uns vom Emmental mit dem Zug nach Hamburg und weiter nach Flensburg. Da haben wir uns auf den Sattel geschwungen und sind lospedalt, quer durch Dänemark. In Hirtshals haben wir die Fähre nach Norwegen genommen und sind via Oslo nach Göteborg gefahren. Von da aus ging’s mit der Fähre zurück nach Kiel und mit dem Zug zurück ins Emmental. Total sind wir 1730 Kilometer geradelt und waren alles in allem knapp drei Wochen unterwegs.
Übernachten:
Wir zelteten meistens wild, nach Möglichkeit an einem See oder zumindest an einem Bach. Da in Südnorwegen aber an fast jedem noch so abgelegenen schönen Plätzchen eine Wochenendhütte steht, war es manchmal gar nicht so einfach, eine geeignete Stelle
zu finden, auf der wir das Zelt aufstellen konnten.