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22.02.2024 — Reisebericht

Taiwan: Eine Veloinsel?

Die Weigerung der Fährgesellschaft, die Velos von Regula und David von Tokio nach Alaska zu transportieren, zwang die beiden zu einer Planänderung in ihrer Weltumrundung. So machten sie kurzerhand einen Abstecher nach Taiwan und wurden reich belohnt.
Geschafft! Bild auf Passhöhe auf dem Wuling-Pass.

Bei der Ankunft am Flughafen in Taipeh, der Hauptstadt von Taiwan, fühlen wir uns nicht besonders willkommen. Nach einer Stunde Werkeln ermahnt uns das Sicherheitspersonal, unsere Velos nicht beim Gepäckband zusammenzusetzen, sondern zuerst den Zoll zu passieren. Dass der Sicherheitsmann nebenbei erwähnt, dass der Flughafen nur mit Autobahnen erschlossen sei und diese sich zum Velofahren nicht eignen, macht uns stutzig. Sind wir nicht gerade mitten in Taipeh gelandet?

Ein Blick aufs GPS bestätigt: Wir befinden uns nicht am städtischen Flughafen, sondern 40 Kilometer ausserhalb am internationalen Flughafen Taoyuan. Wie peinlich! Bei Nieselregen und starkem Gegenwind ist nicht daran zu denken, am Abend noch bis Taipeh zu fahren. Eine spontane, pragmatische Planänderung ist also gefragt.

Einmal rund um die Welt

Doch wie kommen wir überhaupt nach Taiwan? Unsere Idee war, vor der Haustüre zu starten und der Sonne entgegen ostwärts zu radeln, bis wir irgendwann aus Westen in die Schweiz zurückkehren. Dabei wollten wir nicht den schnellsten Weg wählen, sondern uns Zeit nehmen, Sehenswürdiges zu besuchen und Menschen zu treffen. Vor zwei Jahren kündigten wir deshalb unsere Jobs, kümmerten uns um die bürokratischen Notwendigkeiten und gaben unsere Wohnung auf. Nachdem wir uns von Freunden und Familie verabschiedet hatten, ging es an Ostern 2022 los Richtung Osten.

In Georgien standen wir vor der geschlossenen Landesgrenze zu Aserbaidschan, den Iran wollten wir wegen der innenpolitischen Probleme nicht durchqueren. Wir nutzten einen zweiwöchigen Freiwilligeneinsatz, um einen Alternativplan zu schmieden, der uns begeisterte. Er führte uns zurück durch die Türkei, mit dem Schiff über Zypern nach Israel und im Winter via Jordanien und Saudi-Arabien nach Dubai. Dort stiegen wir wegen immer noch geschlossener Grenzen ins Flugzeug nach Aserbaidschan und nahmen wieder Kurs Richtung Osten.

Unterwegs auf der höchstgelegenen Strasse Taiwans.

Angetrieben durch unsere eigene Muskelkraft durchquerten wir Zentralasien. Wir bestaunten die gewaltigen Steppen der Mongolei und pedalierten durch die endlosen Wälder Russlands. Im Oktober 2023 erreichten wir in Wladiwostok den Pazifik und damit einen grossen Meilenstein unserer Reise. Sehr erleichtert, der sibirischen Kälte zuvorgekommen zu sein, bestiegen wir die Fähre nach Südkorea. Dieses faszinierende Land gefiel uns enorm gut und gerne wären wir länger als drei Wochen dortgeblieben. Aber der nahende Winter drängte uns zur Weiterreise nach Japan, wo wir auf unserer Route über viele Bergsträsschen die schönsten Herbstfarben erleben durften.

Nach zwei Monaten erleichterten uns immer kühlere Temperaturen den Abschied aus dem Land der aufgehenden Sonne. Unser ursprüngliches Vorhaben, per Schiff von Tokio über den Pazifik nach Alaska zu reisen, wurde durchkreuzt von der Fährgesellschaft, die sich trotz genügend Platz standhaft weigerte, unsere Velos zu transportieren. Deshalb änderten wir unsere Pläne: Mit viel Vorfreude flogen wir im Dezember 2023 von Fukuoka nach Taiwan, um diese Insel zu entdecken.

Unsere Route führt uns einmal rund um die Insel Taiwan.
Abendstimmung in Tainan

Kaltstart am Flughafen

Erkundigt man sich im Internet über Veloreisen in Taiwan, stösst man rasch auf die 950 Kilometer lange Veloroute Nr. 1, auf der sich die Insel umrunden lässt. Ein spezifischer Reiseführer mit Hinweisen zu Sehenswürdigkeiten und Einkehrmöglichkeiten kann kostenlos heruntergeladen werden. Die Strecke verläuft durchgehend auf ausgeschilderten Velowegen; zahlreiche Polizeistationen dienen als Raststätten, wo beispielsweise Wasser aufgefüllt werden kann. Taiwan tut viel für seine Attraktivität als Veloland. Uns gibt die Umrundung der Insel einen guten Rahmen für den dreiwöchigen Aufenthalt und lässt Zeit für ein paar Abstecher ins Landesinnere.

Den Start am «falschen» Flughafen nehmen wir mit Humor und verlassen das Gelände auf einer Zubringerstrasse. Wir entscheiden uns spontan, am nahen Fischerhafen zu campieren und ohne Aufenthalt in Taipeh direkt mit der Inselumrundung im Gegenuhrzeigersinn zu starten. Schon kurz nach der Abfahrt dämpfen grauer Himmel, Schwerindustrie und trostloses Agglomerationsgebiet unseren Enthusiasmus. Doch zum Glück bleibt es nicht so: Bald stellt sich wieder sonnigeres Wetter ein und täglich sorgen die farbenfrohen Tempel, lebendige Strassenmärkte, schicke Innenstädte und leckeres Essen für viel Abwechslung auf unserer Tour.

Eine erste Bergetappe führt uns auf über 2600 Meter über Meer durch das schöne Teeanbaugebiet bei Alishan. Für die Produktion von Bergtee ist hier kein Hang zu steil. An unserem Zeltplatz auf einer Aussichtsplattform mitten im Teegebiet sorgt aufziehender Nebel für eine wunderbare Stimmung. Leider verziehen sich die Wolken nicht, sondern sind Teil einer Regenfront. Sie lichten sich erst, als wir am nächsten Abend fotogene Salzfelder an der Küste erreichen. In der Stadt Tainan wollen wir unbeschwert den berühmten Nachtmarkt besuchen und reservieren deshalb eine Unterkunft, wo wir die Velos deponieren. Die geschäftige, fröhliche Atmosphäre und die vielen Spiel- und Essensstände machen den Besuch zu einem einmaligen Erlebnis. Dass allerdings Kinder zum Vergnügen lebendige Fischchen und kleine Schildkröten aus Wasserbecken fangen, finden wir etwas unangebracht.

Stadtfahrt im Zweidritteltakt

Am nächsten Morgen macht uns die Stadtfahrt im Gewühl unzähliger Roller einen Riesenspass. Die Anfahrt nach jedem Rotlicht fühlt sich an wie der Massenstart an einem Volkslauf. Bei den Ampeln ist ein Feld markiert, auf dem sich Mopeds und Velos ganz vorne hinstellen dürfen. Was wir zu Beginn noch witzig finden, bringt uns immer näher an unsere Frustrationsgrenze: Alle paar 100 Meter müssen wir an einem Rotlicht stoppen, um dann unsere 40 Kilogramm schweren Velos wieder in Fahrt zu wuchten. Und weil das Stadtgebiet an diesem Tag nie aufhört, sind wir von morgens bis abends im Zweidritteltakt unterwegs: Zwei Minuten fahren, eine Minute warten. Todmüde und genervt legen wir uns ins Zelt – so haben wir uns das Velofahren auf Taiwan nicht vorgestellt.

Wilde Küste und herzliche Menschen

Am südlichsten Punkt unserer Runde um die Insel wendet sich nicht nur die Fahrtrichtung, sondern auch die Stimmung. An der schönen Küste auf der weniger dicht besiedelten Ostseite bessert sich unsere Laune im Nu. Die Menschen sind freundlicher, grüssen und winken uns zu. Wir geniessen die Schönheit der Insel und die Herzlichkeit ihrer Bewohner:innen auf dem zweiten Abstecher in die Berge. Im Aufstieg durch die Taroko-Schlucht wird uns ein Gratis-Zeltplatz empfohlen. Obwohl es noch früh ist, können wir der Versuchung von fliessendem Wasser, WC und Dusche nicht widerstehen. Beim Zeltaufbau kommen wir mit zwei Einheimischen ins Gespräch, die hier eine Nacht im Autocamping verbringen. Schon wenig später sitzen wir gemeinsam mit ihnen am Tisch, kosten vom Hot-Pot und verbringen den Abend in guter Gesellschaft.

Fahrt durch die Taroko-Schlucht

Die höchstgelegene Strasse Taiwans

Gestärkt, motiviert und unbeschwert gehen wir früh morgens die anstehende Bergetappe an. Die Route hat unseren Ehrgeiz geweckt, denn mit einem einzigen Pass könnten wir auf 70 Kilometern über 3000 Höhenmeter klettern! So viel Höhendifferenz haben wir noch nie am Stück bewältigt und die Bedingungen sind hier so ideal, dass wir den Versuch zumindest wagen wollen. Bis zum Mittag schrauben wir uns Meter für Meter durch die triefenden Wolken hoch und geniessen danach den herrlich wärmenden Sonnenschein mit wunderbarem Bergpanorama. Je müder die Beine und dünner die Luft, desto steiler wird die Strasse. Wäre das Ziel nicht schon zum Greifen nah, würden wir auf die letzten Kilometer mit Steigungen von bis zu 17 Prozent wohl verzichten. Aber unsere Beharrlichkeit lässt eine Umkehr nicht zu und die Kraft reicht noch, die Passhöhe auf 3275 Metern über Meer vor Sonnenuntergang zu erreichen. Das phänomenale Panorama lässt uns die Strapazen schnell vergessen und wir freuen uns auf die zweitägige Abfahrt durch wunderschönes Obstanbaugebiet.

Von Yilan im Nordosten der Insel ist es nicht mehr weit bis in die Hauptstadt Taipeh. Unterwegs nehmen wir die einzigartige Abkürzung durch einen ehemaligen Kohletunnel, der für Fussgänger:innen und Velofahrende umgebaut wurde. In mehreren öffentlichen Parks geniessen wir gemeinsam mit Einheimischen ein Fussbad im warmen Thermalwasser. Für die Stadteinfahrt nach Taipeh wählen wir die Route durch den bergigen, vulkanischen Yangmingshan-Nationalpark und gönnen uns mitten im Wald ein wohltuendes Bad in heissen Quellen.

Veloweg im umgebauten Kohletunnel
Ein Abend in bester Gesellschaft

Der Kreis schliesst sich

Wie wir es in Grossstädten oft tun, widmen wir uns in Taipeh primär dem Organisatorischen und dem Essen. Beispielsweise erhalten unsere Velos neue Reifen und wir schicken ein Päckli mit Winterausrüstung voraus. Denn unsere Reise soll uns vorerst in wärmere Gefilde nach Südostasien und Indonesien führen. Der Kreis um die Insel Taiwan schliesst sich mit der Fahrt durch graues Industriegebiet Richtung Flughafen. Der Schlafplatz am Hafen und die feinen Meeresfrüchtenudeln waren uns ja bereits von unserer Ankunft her bekannt, ebenso das Sicherheitspersonal am Flughafen. Erneut sind wir mit unseren Velos im Flughafengebäude nicht willkommen und müssen unsere Drahtesel draussen in Boxen verpacken. Dort trifft wenig später die Polizei ein und macht uns darauf aufmerksam, dass wir die Unterführung zum Flughafen mit den Velos nicht hätten befahren dürfen. Das Vergehen ist jedoch schnell verziehen, als wir erzählen, dass wir Taiwan gerade mit dem Velo umrundet haben. Auf den Flug nach Hanoi wartend, lassen wir die schöne Zeit in Taiwan Revue passieren. Eine Insel, auf der hochwertige Velos produziert, aber wenig benutzt werden. Verständlich angesichts des städtischen Ampelwalds. Abgesehen vom unattraktiven Industriegebiet im Westen hat die Insel mit dem gebirgigen Inland und der wilden Ostküste wunderbare Landschaften zu bieten. Die einwandfreie Infrastruktur, das gute Essen, die Sicherheit und die freundlichen Menschen verleihen Taiwan das Potenzial, tatsächlich eine Velo-Destination zu werden.

Auf der Ausfahrt von Taipeh