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10.09.2017 — Reisebericht

Winter in Marokko - Laura Villigers Reise durch das Land der Träume

Sand! Der Alptraum für jede Radfahrerin! Egal in welche Richtung ich blickte – nichts als Sand. Ich schob mein Velo Meter um Meter weiter. Von der Düne zu meiner Linken beobachtete mich eine Dromedarfamilie. Irgendwo im Nirgendwo sass ein Marokkaner, eingehüllt in eine traditionelle Djellaba im Schatten eines Dornbusches. Er grinste mich mit einem zahnlosen Lächeln an. Ich fragte mich, was er hier draussen wohl macht? Er sich über mich wohl auch. Ich biss meine Zähne zusammen. Yalla – Auf geht’s, und schob mein Gefährt weiter.

Als Frau auf dem Fahrrad wird dir in Marokko viel Beachtung geschenkt.

Den letzten Winter verbrachte ich in Marokko, und liebe Velofahrerinnen, es war der absolute Wahnsinn. Ich spreche euch Frauen absichtlich direkt an, da ich ohne Begleitung unterwegs war und man sich vor der Überfahrt mit der Fähre in Spanien sicher war, dass ich belästigt, begrapscht, verschleppt oder vergewaltigt werden würde. Die Erfahrung war ausnahmslos anders: Erlebt habe ich so einiges, aber mit Horrorgeschichten über das islamische Land in Nordafrika kann ich nicht dienen.

Grenzübergänge sind immer etwas Besonderes. Von Melilla nach Nador schob ich mein Velo gewissermassen aus der europäischen Ordnung durch ein gigantisches, grenzüberschreitendes Chaos und etwas später in die afrikanische Hektik hinein. Die Schlange von Fahrzeugen war riesig und mit viel Gehupe und Gedränge versuchte man, sich vorwärts zu kämpfen. Zwischen den Autos bewegten sich Tausende von Menschen entweder zu Fuss, auf Fahrrädern oder auf stinkenden Motorrädern. Inmitten der Schlange be- und entlud man alle möglichen Transportmittel bis hin zum Esel. Ich zählte im Minimum sechs Typen von Uniformen, welche die Grenzgängerinnen wie Vieh herumdirigierten. Mir wünschte man «Bon voyage» oder rief mir ein «Welcome to Morocco» nach. Auch ich flüsterte einer Familie, welche in Richtung Spanien unterwegs war, ein «Good luck» zu.

Mein Velo wog plötzlich das Dreifache und für die toll aussehende Abkürzung benötigte ich Stunden.

Vor meinem ersten Afrika-Abenteuer war ich bereits 14 Monate mit meinem gelben Fahrrad unterwegs und hatte aufgehört, meine Touren im Detail zu planen. Mein Bauchgefühl sagte mir schon bald: «Hier wirst du dich wohlfühlen», und von meinem Bauchgefühl bin ich noch kaum negativ überrascht worden. Mein Fazit: Marokko eignet sich in der kühlen Jahreszeit hervorragend für eine Fahrradtour.

Wenn du auf der Suche nach wunderschönen, exotischen Landschaften bist, wird dich dieses Land nicht enttäuschen.

Es gibt zwar keine Velowege, aber die Strassen sind gut ausgebaut und ausserhalb der Städte herrscht praktisch kein Verkehr. Wasser und Lebensmittel sind überall erhältlich und die Übernachtungsmöglichkeiten sind zahlreich und günstig. Vor gefährlichen Tieren muss man sich nicht in Acht nehmen und Angst, bestohlen zu werden, hatte ich nie. Wenn du auf der Suche nach wunderschönen, exotischen Landschaften bist, wird dich dieses Land nicht enttäuschen. Ich hatte keine Ahnung, warum ich hier nicht mehr Radfahrerinnen traf.

Nach meinen Veloreisen durch Neuseeland, Kanada und Alaska war der Ausgangspunkt für die Weiterfahrt mein Wohnort nahe Solothurn. Ich überquerte die Alpen und fuhr an die italienische Riviera. Mehr oder weniger der Küste entlang bewegte ich mich von da in Richtung Süden, nahm die Fähre in Almería und erkundete als Marokkoneuling zuerst die Mittelmeerküste. Doch schon bald bog ich ins Landesinnere ab. Wegen meiner «detaillierten» Vorbereitungen landete ich anschliessend, als ich das Atlasgebirge überquerte, schon bald im Schnee. Wusstest du, dass es in Afrika Skigebiete gibt? Ich jedenfalls nicht! Eine Tagesetappe später war die Kälte schon wieder verschwunden und die Umgebung wurde von Tag zu Tag trockener. Ich gelangte in die Trockengebiete und Sanddünenlandschaft der Sahara.

Die Sonne schien hier auch im Winter unerbittlich, und es war mir zu heiss. Die Temperaturen wurden erst wieder angenehmer, als ich in die Antiatlas-Region gelangte. Der Weg nach Tafraoute ist mir noch besonders präsent. Er war ein einziges Naturspektakel. Das saftige Grün der Oasen entlang des Flusstals stand im markanten Gegensatz zum vegetationskargen Gebirgsland, welches ich die Wochen davor erkundet hatte. Mandelbäume blühten und aus den Dattelpalmen-Oasen und den braunen Lehmhäusern hörte ich singende Berberfrauen.

Vieles war neu für mich in Marokko. Trotzdem fühlte ich mich nie unwohl. Die Lebensart war nicht total fremd, sondern einfach anders. Ich traf von Anfang an auf offene und hilfsbereite Marokkanerinnen, die mich zuerst verwundert musterten, dann schüchtern grüssten und mir schliesslich gerne halfen, mich zurecht zu finden. Oft wurde ich eingeladen, entweder zum Übernachten oder einfach auf einen Tee, ohne Erwartungen oder anzügliche Bemerkungen, sondern einfach aus Eigeninteresse. Die Marokkanerinnen waren neugierig und wollten wissen, warum ich alleine reise, wollten etwas über das Leben in Europa erfahren oder mich einfach ihrer Familie vorstellen. Dabei bekam ich die Chance, einen Einblick in ihre Welt zu erhaschen und die islamisch geprägte Kultur besser zu verstehen. So ergaben sich mir unvergessliche Begegnungen, die mir viele neue Sichtweisen auf Liebe, Ehe, Familie, warmem Wasser, Strom oder dicken Matratzen gaben.

Ich bevorzuge es, unter dem Sternendach mein Zelt aufzubauen statt in einer hektischen Grossstadt ein warmes Bett zu beziehen

Wildfremde Menschen liefen kilometerweite Umwege, um mich aus dem strömenden Regen zu bergen und liessen mich auf einem Stapel von selbstgeknüpften Teppichen vor dem Feuer übernachten, da es dort wärmer sei als in meinem Zelt. Mit Mostapha presste ich einen Tag lang Olivenöl. Hamid zeigte mir am Markttag den Eselparkplatz und wo ich ein Kamel kaufen könne. Mit Said ging ich zu einer Nomadenfamilie, von welcher ich trotz Armut und Sprachbarriere mit einem köstlichen Essen verwöhnt wurde. Mit Fatima und ihrer Schwester besuchte ich den Hamam. Familie Mabrouk band mir ein Kopftuch um und steckte mich in eine Djellaba, so dass ich in ihrem Restaurant mithelfen konnte, Tajines zuzubereiten. Ich lernte, wie ich Datteln von den Palmen hole, sass marokkanisch in einem Taxi (vier Personen auf dem Rücksitz, drei vorne) und bestieg barfuss Sanddünen.

Für mich ist es wichtig, für alle Überraschungen offen zu sein. Es ist spannend, jeden Tag aufs Neue ins Ungewisse zu fahren und zu schauen, was es in dem Land zu entdecken gibt. Ich bevorzuge es, unter dem Sternendach mein Zelt aufzubauen statt in einer hektischen Grossstadt ein warmes Bett zu beziehen. Dies war auch in Marokko so. Da im Hohen Atlas die Schneeschmelze erst gerade eingesetzt hatte, suchte ich mir meine «off the beaten track Routen» in der Wüstenregion. Nicht immer existierten die eingezeichneten Wege auf der Karte dann auch wirklich. Oder noch schlimmer: Sie endeten im Sand. Hier wog mein Velo plötzlich das Dreifache und für die auf der Karte so toll aussehende Abkürzung benötigte ich Stunden. An anderen Tagen trotzte ich dem Wind. Das Ergebnis war, dass sich der entgegenwirbelnde Sand sich zwischen meinen Augenlidern und Zähnen festfrass. Ich band mir wie die Einheimischen einen Turban um den Kopf, versuchte Nase und Mund zu schützen. Es half nichts. Ich schlug mir beide Knie auf, als es mich buchstäblich vom Fahrrad blies, kehrte an den Ausgangspunkt zurück und liess mich schliesslich von der Armee in die nächste Stadt chauffieren. Dies waren Momente, bei denen man arg an seine Grenzen kommt. Du hörst dich fluchen, du hörst dich lachen, du fragst dich, was du hier eigentlich genau machst. Doch am Tag darauf bist du wieder bereit für das nächste Abenteuer.

Als Frau auf dem Fahrrad wird dir in Marokko viel Beachtung geschenkt. Es gibt zwar frustrierende und nervenzerrende Momente, doch grösstenteils überwiegen die Freundlichkeit und die Gastfreundschaft. Die schneebedeckten Hochgebirgslandschaften und wilden Naturlandschaften der Wüste bleiben definitiv in Erinnerung. Egal ob du durch eine abgelegene Steinwüste fährst oder die etwas mehr von Touristen heimgesuchte grüne Atlantikküste, eine Reise nach Marokko würde ich mir nicht ausreden lassen! Ich werde auf jeden Fall zurückkehren. Inschallah!

Reiseinfos

3000 Kilometer in 2 Monaten, davon 47 Tage auf dem Fahrrad und total ca. 50‘000 Höhenmeter. Die Route führte von Nador westwärts entlang der Mittelmeerküste, von da Richtung Süden durch das Rif-Gebirge und die Städte Chefchaouen und Fès, über das Atlasgebirge in die Sahara und die Region der Erg Chebbi. Schliesslich führte die Route Richtung Südwesten durch das Atlas- und Antiatlasgebirge und die Steinwüste bis an den Atlantik. Zum Abschluss ging es nordwärts der grünen Küste entlang bis nach Agadir

Chefchaouen - die blaue Stadt.