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Kaum haben wir die Grenze überquert, endet auch schon unsere Veloreise. Mit einem Schwung werden unsere grünen Cumpan-Velos auf einen weissen Pick-up geladen und los geht die Fahrt nach Aschgabat, der Hauptstadt Turkmenistans. Wir seufzen tief – was wäre das für eine tolle Abfahrt mit dem Velo gewesen! Besonders nach dem Anstieg der letzten zwei Tage im Iran. Doch nun sitzen wir auf den beigen Ledersitzen eines Pick-ups und in der Ferne tauchen die ersten Hochhäuser aus Marmor auf. Am Rande der Stadt werden wir vor unserem Hotel abgesetzt. Es ist weiss, gross und leer und steht sinnbildlich für die Hauptstadt, wie wir später feststellen werden.
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Bei unserer Ankunft in Turkmenistan sind wird bereits fünf Monate mit dem Velo unterwegs. Im Frühling 2024 kündeten wir unsere Jobs als Architekt und Marketing-Managerin und schwangen uns ohne grosse Touren-Erfahrung in den Sattel. Unter Abschiedstränen und zugleich voller Vorfreude fuhren wir von der Allmendwiese in Zürich los. Mit dem noch ungreifbaren Ziel, bis nach Japan zu reisen. Aus ökologischen Gründen verzichten wir seit vielen Jahren aufs Fliegen und wollen auch diese Reise ausschliesslich auf dem Landweg zurücklegen. Unser Weg führt uns zielstrebig aus Europa hinaus, durch die Türkei hindurch in den Iran. Danach stehen nur wenige Landwege nach Südostasien offen. Wir entscheiden uns für die Nordroute über Zentralasien und China. So landen wir schliesslich in unserem ersten «Stan-Land» – Turkmenistan.
Wo Rekorde strahlen und Freiheit fehlt
Da es seit Frühjahr 2024 nicht mehr erlaubt ist, das Land selbstständig mit dem Velo zu bereisen, müssen wir eine begleitete dreitägige Tour buchen. Zum Glück ist diese nicht zu strikt und wir haben zwei halbe Tage zu unserer freien Verfügung. Aus «Sicherheitsgründen» dürfen wir mit dem Velo lediglich in einem Radius von drei Kilometern ums Hotel herumfahren, für den Rest müssen wir das Taxi nehmen. So radeln wir zu einigen der zahlreichen Monumente in der Umgebung. Beim weltweit grössten Indoor-Riesenrad – der autoritäre Staat liebt es, Rekorde aufzustellen – sind wir die einzigen Tourist:innen weit und breit. Extra für uns wird das Riesenrad in Betrieb gesetzt. Für umgerechnet 2.50 Franken pro Person fahren wir in der Kabine der Schweizer Marke Gangloff eine Runde und überblicken die Wüstenstadt mit ihren grünen Parks und weissen Gebäuden.
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Nach zwei Tagen rund um Aschgabat gehts für uns weiter zum Bahnhof. Obwohl die Stadt sonst menschenleer wirkt – die meisten Personen, die wir sehen, sind Gärtner:innen oder Polizist:innen – herrscht am Bahnhof erstaunlich viel Betrieb. Viele Menschen warten auf ihren Zug. Als wir unsere Velos zur Verladestation schieben, fühlt es sich an, als wären wir auf einem Laufsteg. Verwunderte und teils skeptische Blicke folgen uns, als wollten sie fragen: «Was machen die denn hier?» Dank unserem Guide geht die Velomitnahme so unkompliziert wie selten. Mit dem Nachtzug fahren wir einmal quer durch die Wüste nach Türkmenabat. Diese Fahrt bietet uns wohl den authentischsten Einblick in das abgeschottete Turkmenistan. Endlich kommen wir mit den Einheimischen ins Gespräch. Mit einer Mischung aus Türkisch, Russisch und Englisch unterhalten wir uns mit unseren Mitreisenden. Nach der Zugfahrt erwartet uns am Bahnhof bereits ein Fahrer und wir werden an die turkmenisch-usbekische Grenze chauffiert.
Beschwingte Fahrt entlang der Seidenstrasse
Wir atmen erleichtert die freiere Luft ein. Zwei Wochen in Usbekistan liegen vor uns. Mit einem Lächeln, das ihre Goldzähne zum Funkeln bringt, heissen die Einheimischen uns willkommen und winken uns zu, als wir an ihnen vorbeifahren. Euphorisch, endlich wieder Velo fahren zu dürfen, sausen wir an einem Tag 100 Kilometer bis nach Buchara, das auf der historischen Seidenstrasse liegt. Dort geniessen wir die Annehmlichkeiten, auf die wir in den letzten zwei Monaten im Iran und in Turkmenistan verzichten mussten: Internet ohne VPNs, Bargeld abheben und in Restaurants auf Englisch bestellen.
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Erholt machen wir uns wieder auf den Weg. Dieser führt uns an grossen Baumwollplantagen und kleinen Dörfern vorbei. In den Mittagspausen verpflegen wir uns oft mit Somsas an Strassenständen. Anfangs sind wir begeistert und finden sogar einmal vegetarische Varianten, danach gibt es sie nur noch mit zähen Fleischstücken gefüllt und am Ende hängen sie uns ein wenig zu den Ohren heraus. Während der Fahrt geniessen wir nach drei Monaten Dauerhitze mit 30 bis 40 Grad die kühle Brise auf unserer Haut. Dieses sonnige Herbstwetter ist eine richtige Wohltat und perfekt, um Zentralasien zu entdecken. In dieser Region liegt die bekannte Veloroute, der Pamir Highway. Wir haben uns jedoch gegen diese Strecke entschieden, da wir nicht erpicht sind, 40 bis 50 Kilogramm Gesamtgewicht den Berg hoch zu bugsieren. Ausserdem haben wir zu wenig warme Kleidung dabei. So folgen wir dem Ruf der weiten Ebene.
Währendem die glühende Abendsonne in der Steppe untergeht, stellen wir unser Zelt hinter einem kleinen Hügel auf. Wir sehen in der Ferne eine Schafherde mit Hirtenhunden auftauchen. Mein Herz beginnt heftiger zu schlagen. Seitdem ein Schäferhund mich in der Türkei fast gebissen hätte, bin ich sehr vorsichtig, wenn ich Hunde sehe. Tatsächlich rennt nun einer zielstrebig auf uns zu. Während ich panisch ins Zelt flüchten möchte, kocht Tobias in Seelenruhe das Abendessen weiter. Wenig später zeigt sich, dass der Hund friedlich ist und wir winken lächelnd dem vorbeiziehenden Hirten auf seinem Esel zu. Beim Abendessen sind wir wieder alleine und saugen die Ruhe der Landschaft um uns herum auf. Am nächsten Morgen brechen wir früh auf und fahren die restlichen Kilometer bis nach Samarkand.
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Motivationsloch auf der Hauptstrasse
Da es für die letzten 200 Kilometer bis zur usbekischen Hauptstadt Taschkent keine Nebenstrassen mehr gibt, müssen wir auf der Hauptstrasse fahren. Diese hat zahlreiche Schlaglöcher und die Autos halten nur wenig Abstand zu uns. Ein Lastwagen, der haarscharf an uns vorbeidonnert, bringt das Fass zum Überlaufen. Ich fühle mich gestresst und müde, die Anstrengung der letzten fünf Monate sitzt mir in den Knochen. Es ist der erste Tiefpunkt unserer Reise. Wir beschliessen, erstmals getrennte Wege zu gehen. Da Tobias noch vorrätige Ausdauer und Kraft hat, tritt er kräftig in die Pedale, um die restlichen Kilometer in zwei Tagen zurückzulegen. Ich hingegen fahre drei Stunden mit dem Zug nach Taschkent und schliesse dabei Bekanntschaft mit Wolga-Deutschen und einem usbekischen Forscher. Die Reise lehrt uns, Pläne spontan anzupassen und immer wieder neu auf unsere Bedürfnisse einzugehen.
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Heimatgefühle in der Ferne
Wir stossen unsere schwer bepackten Räder durch das Gewühl am usbekisch-kasachischen Grenzübergang. Händler ziehen Karren mit 10-Kilogramm-Säcken Sonnenblumenkernen und Plüschtieren an uns vorbei. Vorfreudig betreten wir Kasachstan, das elfte Land unserer Reise. Das Velofahren macht wieder Spass, da im Gegensatz zu Usbekistan die Strassen gut geteert sind und die Autos reichlich Abstand halten. Unser Weg führt uns durch den Süden in die weitläufige Ebene, wo Pferde und Kühe umherziehen. In der Weite taucht das schneebedeckte Tienschan-Gebirge auf, was Heimatgefühle in uns weckt.
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In Kasachstan fühlen wir uns rasch wohl. Mehrmals dürfen wir die hiesige Gastfreundschaft geniessen: Als wir unseren Wildcampingplatz an einer Flussbiegung verlassen, kommen wir keine 500 Meter weit und werden von einer Familie zum Tee eingeladen. Dazu offerieren sie uns die zentralasiatische Spezialität Kurt. Die getrockneten Quarkbällchen sind steinhart, leicht säuerlich und extrem salzig – nicht unser Lieblingsgeschmack. Ich kaue eine Viertelstunde darauf herum, während Tobias seines geschickt in der Hosentasche verschwinden lässt. Ein weiterer Freund der Familie gesellt sich mit einer Flasche Wodka hinzu, aus der er uns zwei Gläschen einschenkt. So stossen wir um neun Uhr morgens miteinander an. Im Laufe unserer Reise durch Kasachstan werden wir noch viele weitere Erfahrungen mit der kasachischen Gastfreundschaft machen. Fast täglich halten Autofahrer:innen neben uns an und schenken uns das typische Leipioskka-Brot – und zwar mehr, als wir essen können. Ablehnen ist beinahe unmöglich. Die kasachische Gastfreundschaft hat etwas Bestimmendes an sich und duldet keine Widerrede. Generell treffen wir in Zentralasien auf sehr spannende und gastfreundliche Menschen.
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«Unterschätze nie die Freundlichkeit eines Fremden.»
Unser letzter Halt in Zentralasien ist die kasachische Stadt Almaty. Der schnellste Weg dorthin führt uns für wenige Tage durch Kirgistan und dessen Hauptstadt Bischkek. Dort geniessen wir seit langem wieder mal die Gesellschaft von anderen Veloreisenden und besuchen den quicklebendigen Bazar. Da der Wintereinbruch bevorsteht, möchten wir möglichst schnell nach Almaty fahren. Leider geht unser Plan nicht auf. Bereits in der ersten Nacht ist es im Zelt null Grad kalt. Ich muss vor dem Schlafengehen ein paar Aufwärmübungen machen, damit ich im Schlafsack ordentlich warm habe. Auf der Weiterfahrt wird uns schnell klar, dass wir in Bewegung bleiben müssen, um nicht zu frieren. Unser letzter Fahrtag in Zentralasien scheint uns mit 90 Kilometern in der Kälte endlos. Verbissen treten wir bei Niesel und Graupel in die Pedale. Pitschnass erreichen wir in der Dunkelheit unser Hostel und fallen erschöpft in die warmen Betten.
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Weite Wege liegen noch vor uns
Mit der Ankunft in Almaty sind wir genau sechs Monate unterwegs und unsere Zeit in Zentralasien neigt sich dem Ende zu. Eine Woche verbringen wir noch in Almaty, gehen in der Umgebung wandern und bereiten uns für den nächsten Reiseabschnitt in China und Südostasien vor. Wir sind unserem Fernziel Japan ein Stück nähergekommen und werden das Land der aufgehenden Sonne voraussichtlich im Frühling 2025 erreichen. Bis dorthin freuen wir uns auf den Weg, der noch vor uns liegt. Denn das Reisen auf dem Velo hat uns gepackt und eines ist sicher: Es ist das erste von vielen Abenteuern mit unseren Cumpan-Velos.